Beatrìksagen

Eines Morgens spannte ein junger Bursche sehr früh seine Ochsen an den Wagen und fuhr damit bergan einer Sennhütte zu. Nach einer halben Stunde, eben bei Anbruch des Tages, begegnete er einer schönen jungen Hexe aus der Familie der "Eguane", welche zu ihrer nicht fernen Höhle ging. Sie gesellte sich zu ihm und ging mit ihm redend hinter dem Wagen her. Plötzlich erscholl von ferne der Ruf des Beatrìk. Ganz zitternd vor Schrecken — denn wenn sie auch noch so schnell gelaufen wäre, würde sie ihre Höhle doch nicht mehr erreicht haben — wandte sie sich zum Burschen und sprach: "Ich bitte dich, mach' einen grossen Kreis um uns und den Wagen her, damit ich mich vor dem Jäger rette; ich beschwöre dich den Kreis nicht zu verwischen, mag er auch noch so sehr drohen oder bitten. Dir kann er nichts anhaben, m|r aber rettest du das Leben und ich will dich reich und glücklich machen, ich will deine Magd oder wenn ich dir gefalle, sogar dein Weib werden." Sie unterstüzte ihre Bitte mit so anmuthigen Gebärden und warf dem Burschen so schmerzliche Blicke zu, dass es einen Stein hätte erbarmen können. Kaum hatte der Bursche den Kreis gemacht, als der Beatrìk mit ingrimmigem Angesicht erschien. Vor dem Kreise blieb er plötzlich stehen und befahl dem Burschen denselben zu öffnen.  Er stiess immer fürchterlichere Drohungen aus; da verzagte der Bursche. Die Arme bat ihn mit Thränen, sie nicht ihrem Feinde überliefern zu wollen; wer hätte aber so schrecklichen Drohungen widerstehen können?  Er öffnete den Kreis und die Hexe, welche ihrem Verräther noch einen jammernden Blick zuwarf, ward ergriffen und in tausend Stücke zerrissen. (Ronchi bei Borgo)

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Zur Winterszeit sassen mehrere Burschen eines Abends in einer Küche um den Herd beisammen, als sie das hop! des Beatrìk hörten. Scherzend rief Einer:

"Jäger von der guten Jagd,
Gib uns auch einen Jagdtheil!"

Sie gingen jene Nacht schlafen, ohne dass Einem etwas Böses widerfahren wäre. Als sie aber des Morgens aufstanden, fanden sie an der Kammerthüre den Schenkel einer Hexe so stark befestigt, dass sie denselben in keiner Weise loszureissen vermochten. In ihrer Verlegenheit fragten sie eine Alte, welche selbst eine alte Hexe war, um Rath und diese rieth ihnen, sobald sie den Beatrìk wieder hörten, sollten sie rufen:

"Jäger von der guten Jagd
Hol deinen Jagdtheil wieder!"

Sie thaten so und der Beatrìk holte seinen Jagdtheil wieder; bevor er aber wegging, schaute er grimmig beim Fenster der Kammer herein, wo die Burschen, jeder etwas geweihtes in der Hand haltend, beisammen waren, und schrie: "Hättet ihr nicht in den Händen, was ihr habt, ich zerrisse euch in Stücke so klein, wie ein Hirsekorn!" Darauf fuhr er fort, ohne Einem etwas zu Leide zu thun. (Ronchi)  
(Vgl. Zingerle Sagen Nr. 124, Schwarz S. 10. — In einer ganz ähnlichen Variation dieser Sage von Centa (ober Caldonazzo) versteckt sich ein Bauer, während der Beatrìk seinen Jagdtheil wieder abholt, tief in's Heu; denn dieses sichert ihn darum, weil die Halme lauter Kreuze bilden — ein Zug, der sich auch in einer der nächstfolgenden Sagen wiederholt.)

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Auf dem Gebirge wohnte vor Alters eine alte Frau allein in ihrem Häuschen; nur ein Hund und eine Katze waren ihre Gesellschafter.

Es war der heilige Abend und die Nacht war schon angebrochen, als sie vor ihrem Häuschen stand. Da hörte sie plötzlich in weiter Ferne Hundgebelle. Sie zitterte anfangs, denn sie wusste, dass dies der Beatrìk sei, allein sie dachte: "Es ist dunkel und er ist weit weg; ich will ihn um einen Jagdtheil bitten." Sie rief also:

"Jäger, schöner Jäger,
Gib mir auch einen Jagdtheil!"

"Wart nur ein wenig!" donnerte eine Stimme, "du sollst haben, was du verlangst!" Da sprang sie, so schnell sie konnte, in das Haus, sperrte die Thüren, kehrte die Tische, Bänke und Stühle um und nahm Hund und Katze zu sich. Bald kam der Beatrìk zu Ross und rief: "Hier ist dein Jagdtheil, komm und nimm ihn dir!" "Ich kann nicht", erwiederte sie. Er aber hieb ein Stück von einer "Dubiana" ( "Zubiana“ bedeutet "Hexe“, während "stria“ (strega) eine viel weitere Bedeutung hat und alle sagen- und märchenhaften weiblichen Wesen umfasst. Das Wort kommt von giovedi, Donnerstag, im Dialekt zobia (daher auch zobiana), nach der in Deutschland allbekannten Vorstellung der Hexenausfahrt am Donnerstage. In Dubiana steht anlautend d für z — eine Eigenthümlichkeit des italienischen Dialektes der Gebirge von Borgo; so auch ardento für argento, mando für manzo u. s. w.) ab, legte es auf die Handhabe der Thüre und entfernte sich wieder.

Als die Alte das Fleisch sah, grauste ihr und sie rührte es nicht an. Am folgenden Abend ging sie wieder vor die Thüre und als sie das Hundegebelle abermals vernahm, rief sie:

"Jäger, schöner Jäger,
Hol deinen Jagdtheil wieder!"

Dann sprang sie in das Haus, sperrte die Thüren, kehrte Tisch und Bänke und Stühle um und nahm wieder Hund und Katze zu sich. Bald kam der Beatrìk und die Erde scholl unter den Hufen seines Rosses; er war wüthend und schalt die Alte. Dann nahm er das Fleisch wieder und rief noch: "Hättest du nicht in deiner Kammer, was du hast, ich zerrisse dich wie eine Maus." Darauf verhallte der Lärm und er zog mit seinen Begleitern weiter.

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Ein Messner (Küster, wälsch el mónegh, von monachus) war eines Abends nach dem Betläuten eben auf dem Wege nach Hause, als er den Ruf des Beatrìk vernahm. Ohne sich zu besinnen, rief er zum Spasse auch hop hop! Doch fing er sogleich nach Kräften zu laufen an, sprang in sein zum Glücke offen stehendes Haus und ergriff ein Cruzifix.  In demselben Augenblicke sah er vor dem Fenster einen fürchterlichen Mann; das war der Beatrìk, weicher rief: "Hättest du nicht in der Hand, was du hast, ich zerrisse dich in Stücke so klein, wie ein Hirsekorn!" Darauf verschwand er und der Messner kam mit dem Schrecken davon. (Ronchi bei Borgo.)

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Auf den Bergen ober Roncegno war einmal ein Hirte abends in seiner Hütte, als er das Hundegebelle und den Lärm des Beatrìk vernahm. Da ward er zornig und schalt den Jäger; aber auf einmal kam der Lärm näher und der Beatrìk trat zornig in die Hütte und rief: "Was schmähst du mich?" Da war der Hirte gar erschrocken und bat den Beatrìk demüthig um Verzeihung. Der Beatrìk verzieh ihm und sagte: "Jezt will ich essen. Geh hinauf auf die Spitze jenes Hügels, da wirst du einen schwarzen Bock finden, den ergreif bei den Hörnern und bring ihn mir." Der Hirte gehorchte; der Beatrìk zog dem Bocke die Haut ab, sott ihn in einem Kessel und sezte sich dann zum Essen, indem er den Hirten auch dazu einlud. "Aber gib wol Acht", sagte der Beatrìk, "dass uns kein Bein verloren geht." Der Hirte gab zwar Acht, verschluckte jedoch, ohne es zu wollen, ein Beinchen.  Nach dem Essen warf der Beatrìk die Haut des Bockes auf die Beine, da war der Bock wieder lebendig und ging zur Thüre hinaus, aber er hinkte ein wenig, weil der Hirte ein Beinchen vom Fusse verschluckt hatte. Darauf sagte der Beatrìk: "Ich bin noch nicht satt und will jezt Menschenfleisch: geh hinein auf diese und diese Wiese, da ist ein Mann, dem sag, er sol| schnell herauskommen, ich befehl' es ihm." Der Hirte ging und kam zum Manne, dem er sagte: "Flieh' der Beatrìk will dich fressen!" Der Mann erwiederte: "Aber was soll aus dir werden?" "Ich fliehe mit dir!" sagte der Hirte und sie liefen eiligst in das Dorf; inzwischen war es Morgen geworden. Da sie aber doch beide wieder auf den Berg mussten, fragten sie den Pfarrer, was sie thun sollten. Dieser sprach: "Da nüzt nichts anderes, als ihr verbergt euch jede Nacht im Heu, das bildet mit den Halmen lauter Kreuze, so kommt euch der Beatrìk nicht an den Leib“.  Sie thaten so und waren gesichert; der Beatrìk kam zwar und ging wüthend und tobend um das Heu, aber er konnte ihnen nichts zu Leide thun.

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Der Beatrìk hat einer Variation der Sage zufolge auch ein Geschirr mit Milch, mit welcher er die Leute einschläfert. Zur Weihnachtszeit sassen einmal drei Burschen und drei Mädchen in einer Spinnstube beisammen. Um Mitternacht hörten sie draussen eine Stimme rufen: Hop! hop! Da sagte die älteste von den Mädchen: "Ich will doch hinaus zu sehen, wer da ist." Sie ging, kam aber nicht mehr zurück. Nach langem Warten ging die zweite hinaus, aber auch sie kam nicht mehr zurück. Endlich sagte die dritte: "Hört, binden wir unsere Taschentücher fest an einander, ich will mich daran hängen und wenn ihr merkt, dass ich falle, zieht mich herein." Gesagt, gethan. Als sie hinauskam, fand sie den Beatrìk, welcher ihr Milch geben wollte und sie fiel zu Boden. Darauf zogen die drei Bursche sie herein, so dass das Milchgeschirr des Beatrìk umfiel und die Milch ausrann. Nun erzählte ihnen das Mädchen, wer es sei; sodann gingen sie hinaus und weil der Beatrìk keine Milch mehr hatte, so erschlugen sie ihn und befreiten die beiden andern Mädchen. (Castelnuovo bei Borgo)

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Ist schon in der vorangehenden Sage die Gestalt des Beatrìk so abgeschwächt und verblasst, dass er vom mächtigen schrecklichen Riesen zum schwachen Zauberer herabgesunken ist, welcher ohne das Mittel seines Zaubers ohnmächtig wird, so zeigt eine andere Sage die Entstellung und Verzerrung auf grausige Weise; dies soll jedoch von der Wiedergabe derselben nicht abhalten. Sie lautet wie folgt:

Es schlief einmal zur Nachtzeit ein Mädchen in einem Heustadel auf dem Gebirge. Da vernahm sie den Ruf hop hop — und weil sie glaubte, es komme ihr Vater, so antwortete sie mit dem gleichen Rufe. Da kam der Beatrìk und gab ihr Milch, so dass sie einschlief. Darauf riss er ihr den Bauch auf und wand die Gedärme an einem nahestehenden Haspel auf. Der Vater kam wirklich und wollte ihr zu Hilfe eilen, wurde aber von den Bestien des Beatrìk grausamlich zerrissen. (Castelnuovo bei Borgo).

Quelle: Chrsitian Schneller, Märchen und Sagen aus Wälschtirol, Innsbruck 1867, S. 201
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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