DIE ALTE AUS DER KEHLEN
(Aus Dr. F. J. Vonbuns Sagen, nach Dr. Spiegels Aufzeichnung)

Merkwürdig ist es, wie Sterbende ihren Tod künden. Zu einer zahlreichen Familie kam fleißig jede Woche ein altes, krummes Weib, das dann die Wäsche und Kleider der Kinder zur Ausbesserung erhielt. Einmal blieb die arme Frau vier Wochen aus, denn sie war krank. Nach dieser Zeit, als eben die Mutter und ein Söhnlein an einem schönen Sommertage im Zimmer saßen, hörten sie dieselbe langsam die Stiege heraufkommen. Sie war am Gange leicht zu erkennen, da sie hinkte. In der ganzen Gemeinde konnte nur sie so die Stiege auf- und abgehen. Sie klopfte, kam aber nicht herein, sondern ging langsam wieder die Treppe hinab. Die Mutter, die schon früher bemerkt hatte: „Hörst du, die Alte aus der Kehlen kommt wieder!" schickte den Knaben hinaus, sie zurückzurufen; mochte dieselbe ja, da sie schlecht hörte, das „Herein" nicht vernommen und gedacht haben, es sei niemand zu Hause. Aber weder auf der Stiege, noch im Vorhause, noch außer dem Hause war jemand zu finden. Als am nächsten Morgen die Totenglocke geläutet wurde, galt es der Alten aus der Kehlen.


Quelle: Walter Weinzierl, Sagen aus Dornbirn, Dornbirn 1968, S. 32