Wilde Jagd im Fersinathal [Fersina-, Fersental]

Diese zeigte sich am öftesten im Eßelthal, das zwischen dem Roafen- und Hornthal [Horntal] am Fuße der Mittagsspitze Aichleit gegenüberliegt. In diesem von Menschen nicht bewohnten Thale zog sie mit wildem Lärm und Geschrei, mit vielen Lichtern und Bränden auf und ab. Weithin hörte man schreien:

"Hob foal, hob foal"
(ich habe feil)

Als wieder einmal ein übermüthiger [übermütiger] Bursche dies Geschrei hörte, rief er über's Thal hinüber:

"Treib oar (herab) und bring über ünser Thoal"
(herüber unser Theil [Teil].)

Als er morgens ans seiner Hütte trat, hieng [hing] an der Thüre [Türe] eine halbe Frauenleiche. Voll Schrecken gieng [ging] er zu einem alten Weibe, die mehr wußte, als andere Leute, und bat sie um Hilfe. Sie sprach:

"Für dieses Mal geht es noch an, aber es hätte euch schlecht gehen können. Nehmt die Leiche, näht sie in ein frisches, sauberes Leintuch, so daß nicht eine Fliege dazu kommt, und wenn wieder die wilde Jagd daher fahrt, so ruft zu ihr hinüber: "Hob foal, hob foal!" Wenn sie euch dann antwortet; "Hob foal, hob foal!" so ruft: "Kommt oar und nehmt enker Thoal."

Er befolgte des Weibes Rath [Rat], als er wieder die Jagd hörte, und der Leichnam verschwand auf der Stelle. (Fersinathal [Fersental])

Quelle: Sagen aus Tirol, Gesammelt und herausgegeben von Ignaz V. Zingerle, Innsbruck 1891, Nr. 19, Seite 12