Der g'nahte Papagei
Ansitz Staudach © Maria Halbfurter
Ansitz Staudach in Debant, Osttirol
© Maria Halbfurter, April 2006

Westlich der zum Edelsitz Staudach gehörigen Kapelle stieß man vor langer Zeit bei Grabungsarbeiten auf ein weibliches Gerippe. Was für eine Bewandtnis es damit hatte, wird uns die Sage erzählen:

Hans von Staudach, ein griesgrämiger Junggeselle, der sich in seinem Ansitz in Nußdorf stets langweilte, hatte vor kurzem als Freundesgeschenk einen wundernetten, sprechenden Papagei bekommen.

Seine ganze Liebe verschwendete er an dieses possierliche Tier, konnte sich stundenlang mit ihm unterhalten und zwang daher den Vogel in keinen Käfig, sondern ließ ihn frei in seinem Gemache schalten und walten. Kein Wunder, wenn der Papagei überall seine unvornehmen Visitenkarten ablegte. Den Staudacher störte dies nicht, wohl aber war seine Magd, die für die Reinhaltung der Gemächer Sorge zu tragen hatte, darob sehr erbost. Zwischen ihr und dem buntgefiederten Krakeeler, der sie stets mit lautem Geschrei, Schimpfworten und anzüglichen Redensarten empfing, sobald sie das Zimmer seines Herrn betrat, herrschte ein ausgesprochener Kriegszustand.

Eines Tages ritt nun der Staudacher nach Lienz, um beim dortigen Hohen Gericht als Zeuge zu fungieren. Die Dirn, welche wieder einmal größten Ärger wegen des Vogelmistes gehabt hatte, klagte ihr Leid dem Knecht, der ihr in Liebe zugetan war und lachend ausrief: "Weißt was, der Papagei wird g´naht!" Gesagt, getan.

Den beiden schien es ein Scherz zu sein, der sie nicht bedenken ließ, dass sie im Begriffe waren, an dem wehrlosen Tier ein Verbrechen zu begehen.

Mit roher Faust packte der Knecht den Vogel und hielt ihm den Schnabel zu, während ihm die Dirn flink seinen rückwärtigen Ausgang vernähte. Das zu Tode erschrockene Tier verkroch sich in einem Winkel des Zimmers. Knecht und Dirn gingen ihrer gewohnten Arbeit nach.

Ansitz Staudach © Maria Halbfurter
Ansitz Staudach in Debant, Osttirol
© Maria Halbfurter, April 2006

Als Hans von Staudach gegen Abend heimkehrte, wunderte es sich, dass ihm der Papagei nicht entgegenkam, um ihn zu begrüßen. Erst auf seinen Anruf humpelte das verschreckte Tier mühsam aus seinem Versteck hervor und rief immerzu: "Knecht und Dirn – Nadel und Zwirn – Loch vernaht!" Bestürzt hob der Staudacher seinen Liebling auf, untersuchte ihn und musste feststellen, dass man an ihm tatsächlich diese unmenschliche Rohheit begangen hatte. Mit ein paar Schnitten erlöste er den gequälten Vogel.

Wutentbrannt stürzte er hinaus und zwang den Knecht, die Dirn vor seinen eigenen Augen zu erdrosseln und deren Leichnam östlich der Kapelle zu verscharren.

Der Herr von Staudach hatte seine Rache genossen, den Knecht aber erfasste der Wahnsinn, und er erhängte sich mit dem gleichen Strick im nahen Obstanger.

Worterklärungen

g'naht: genäht

vernaht: vernäht

Dirn - Magd

Quelle: Der g'nahte Papagei, Aufgezeichnet von Michael Kristler, Alim Yürekli, Dominic Rainer, Biberay Arsein, Martin Trojer, Manuel Obertlik; Die Sage wurde gefunden im Buch "Die schönsten Sagen Osttirols" von Maria Kollreider-Hofbauer, Klasse 4a, Lehrerin: Maria Halbfurter; VS-Debant Pestalozzistraße 2, 9900 Nußdorf-Debant, Emailzusendung vom 7. April 2006