Der goldene Pflug vom Zettersfeld

Eines Tages erschien auf dem Zettersfeld hoch über Lienz ein seltsamer Mann.

Er war fremdländisch gekleidet, trug ein Visier und ritt auf einem wilden schwarzen Pferd. Keiner wusste, woher er gekommen war. Und weil er so groß, wild und stark war, wurde er von den Bauern der „Wilde Graf“ genannt. Auf seinem Helm war ein goldener Pflug angebracht, ebenso an seinem Mantel. Der goldene Pflug war nämlich sein Wappen.

Er baute sich eine Blockhütte und ließ auf den Hochwiesen des Zettersfeldes seine Herden, Büffel und wilde Pferde, weiden. Nachts schickte er seine Diener mit schwer beladenen Pferden und geheimnisvollen Kisten und Bündeln zur nahe gelegenen Rotsteinwand. Kein Hirte und keine Sennerin setzte von da an einen Fuß auf das Zettersfeld. Alle fürchteten sich. So konnte der „Wilde Graf“ lange Zeit ungestört seine unheimliche Herrschaft führen.

Doch dann ging Vinzenz, ein Bauernbursche aus Grafendorf, der immer mutiger sein wollte als alle anderen, eine tollkühne Wette ein. Er wettete, dass er es wagen würde, mit dem „Wilden Graf“ Haggl zu ziehen. Als Beweis wollte er einen goldenen Knopf vom Mantel des Grafen mitbringen.

Am nächsten Morgen stieg Vinzenz zur Alm auf, in der Hand trug er einen derben Wanderstock, auf den Kopf hatte er sich einen alten Hut gesetzt, an dem eine lange Hahnenfeder lustig hin- und herwippte. Nach langer Wanderung kam er zur Hütte des Grafen, und obwohl ihm die Knie schlotterten vor Angst, schlich er ein paar Mal drum herum und späte durch die Fenster.

Plötzlich hörte er eine raue Stimme hinter sich: „Was hast du hier zu suchen?“ Erschrocken drehte er sich um und sah den Grafen vor sich, der ihn mit finsterem Blick musterte. Dem Vinzenz, der sonst nicht mundfaul war, verschlug es die Sprache beim Anblick des riesenhaften Mannes. „Hast wohl noch nie einen so großen Menschen gesehen?“, höhnte der mit donnernder Stimme. Vinzenz kam sich ganz klein und schwach vor neben diesem Riesen. Trotzdem nahm er allen Mut zusammen und stotterte: „Ich, ich bin auch stark – willst Haggl ziehen?“

Da lachte der Graf dröhnend, packte mit dem Mittelfinger der linken Hand Vinzenz´ dicken Wanderstock und brach ihn mit einem Ruck mitten entzwei. Vinzenz aber griff nach seinem Hut, rupfte die Hahnenfeder aus und überreichte sie dem Gewinner als Siegespreis. Da musste der Graf noch lauter lachen über diesen frechen Wicht. Er griff in seine Tasche und schenkte ihm eine kleine Goldmünze. Worauf Vinzenz sich schnell davonmachte und ins Tal abstieg, um vor seinen Freunden mit seinem Abenteuer anzugeben.

Der „Wilde Graf“ aber verschwand mit seinem Gefolge so plötzlich wie er gekommen war und wurde nie mehr gesehen. Die Sage erzählt, dass er auf dem Zettersfeld große Schätze zurückließ. Das wertvollste Stück soll ein aus purem Gold geschmiedeter, mit Edelsteinen geschmückter Pflug sein. Schon viele Schatzsucher haben versucht, ihn zu finden. Aber bisher ist es keinem gelungen.

Nach Maria Kollreider-Hofbauer

Quelle: Der goldene Pflug vom Zettersfeld, nacherzählt von der 3b, Volksschule Lienz-Süd 1, aus „Die schönsten Sagen Osttirols“ 1968, Lehrerin Claudia Kopf, Emailzusendung vom 6. Februar 2006