Gottesgericht über einen verschwemmten Hof
Über Villanders liegt eine Anhöhe, die so unfruchtbar ist, daß sie kaum den Schafen spärlich Weide gewährt. Es war nicht immer so; vor alten Zeiten hatte über diesen Hügel der Segen Gottes sein reiches Füllhorn geleert. Ein Bauernhof stand auf dem Hügel, der weitum der schönste war. Da war Geld und Gut. Der Stadel war eine weite Bedachung, und kaum hatte in demselben des Sommers und Herbstes Überfluß Platz. Aus den vielen kleinen glänzenden Fensterlein des geräumigen Wohnhauses schauten Zufriedenheit und Wohlstand und die schmuckgetäfelte und gemalte Stube. Steffi, der Bauer, hatte von seinem Vater die Wirtschaft und noch dazu darüber den Segen Gottes geerbt; denn er war wie sein Vater, ein Biedermann im wahren Sinne des Wortes; auf Ordnung im Hause, auf Redlichkeit und Christentum hielt er viel und gab mit der Rechten, ohne daß es die Linke wußte; sein Weib war ein wahres Muster von einer Hausmutter und verdiente das Lob des starken Weibes in den Sprüchen Salomons im 31. Kapitel ohne Übertreibung. Vom Wohlstand genährt, vom Segen Gottes getragen, vom Christentum geführt waren Steffi und sein Weib mit Ehren alt geworden; fünf Töchter hatten sie, die heranwuchsen wie blühende Rosen. Demut war in ihrem Betragen, Sittsamkeit und Unschuld strahlten ihnen aus den Augen, gehorsam waren sie auf den Wink, Lust zum Gebete und zur Arbeit merkte man an ihnen; unter den flinksten und bravsten Burschen in der ganzen Umgebung hätten sie die Auswahl bekommen.
Jahre vergingen, die älteste Tochter war schon mannbar geworden, da kam auf einmal Unglück ins Haus in der Gestalt eines verstockten Bösewichts. Es verlor nämlich der Bauer unter dem Jahre den Knecht, einen sehr braven Diener, und war nun verlegen, woher einen Arbeiter bekommen. Da kam wenige Tage darauf am Abend ein unbekannter Bursche mit einer überaus hübschen Gesichtslarve und Honig auf den Lippen; der beste Menschenkenner hätte sich an ihm verschaut, so wußte er in seinem Betragen Sittsamkeit und Bescheidenheit zu heucheln. Aber leider! Es war ein Wolf in Schafskleidern, der schon öfters in anderen Gegenden als Verführer den Laufpaß bekommen hatte. Bei der wenigen Lebenserfahrung der unschuldigen, nichts Arges ahnenden Töchter war es ihm leicht, sie in das Netz der Verführung zu bringen. Nach einem Jahr entließ Steffel zwar den Wolf im Schafskleid, durch manche Äußerungen des Verführers und der Verführten aufmerksam gemacht und durch das Betragen der Töchter erschreckt. Aber es war leider zu spät, das Werk der Verführung war bei den zwei ältesten Töchtern schon vollendet, und in den Herzen der jüngeren wucherte auch der Same des Unkrautes üppig heran. Der Hauch der Unschuld war von der Stirn verwischt und hatte einem frechen Betragen Platz gemacht, von der Sittsamkeit war keine Spur mehr zu finden in dem eitlen, fast sündhaften Anzüge, Unlust zum Gebet und zur Arbeit sah man ihnen deutlich an und bemerkte dafür desto größere Freude am Tanz und ändern sündhaften Unterhaltungen, in ihrem Betragen zeigten sie wenig Achtung und Liebe mehr gegen ihre musterhaften Eltern. Alle Tränen der Mutter, alle Ermahnungen des Vaters und selbst Strenge fruchteten nichts mehr. Sooft sie konnten, stahlen sie sich aus dem Vaterhaus an Sonn- und Feiertagen fort und begaben sich in liederliche Winkelhäuser zum Tanz, wo ihr Verführer gewiß niemals fehlte. Schon konnte die älteste Tochter ihre Schande nicht mehr länger verbergen. Darob erkrankte der Vater, und die Mutter bekam ein langwieriges Siechtum. Nach dem Tode des Vaters fanden die Tänze in dem väterlichen Hause statt; um die Tränen der siechen Mutter bekümmerte sich niemand. Diese mußte verlassen, ohne Pflege, in einem Winkel des Hauses ihren Schmerz und ihren Kummer abwarten. Gram, Verdruß und Mangel an guter Pflege brachten ihr Siechtum zu rascherem Ende, als man anfangs glaubte. Die Vorstellung der sterbenden Mutter und ihr Tod brachte zwar die Töchter zum Stillstehen für einige Wochen auf dem Wege des Verderbens, jedoch zur Umkehr kam es nicht, dazu waren sie zu grundverdorben. Nach den wenigen Wochen wurde des Lasterlebens Fortsetzung wieder aufgenommen, und zwar in vergrößertem Maßstabe, ja es kam so weit, daß das Haus eine wahre Mörderhöhle der Seelen wurde, so daß der Himmel in seiner unendlichen Langmut nicht länger mehr zusehen konnte. Je ärger das Sündenleben war, um so schwerer war auch die Strafe. Es kam auf einmal um Mitternacht ganz unerwartet ein schreckliches Gewitter. Eine schwarze Wolke, Unheil verkündend, lagerte sich über dem Hügel, und aus derselben heraus wetterleuchtete es in einem fort, und lange nachrollende Donner begleiteten das Himmelsleuchten; ein Blitzstrahl zündete nieder und legte die Behausung in wenigen Augenblicken in Asche. Ein Wolkenbruch entstand und schwemmte das Erdreich bis auf die nackten Felsen vom Hügel fort, so daß am andern Tage von Haus und Hof nichts mehr zu sehen war.
Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 375.