Der Wassergeist im Živomoos

Im oberen Jauntale liegen in ländlicher Einsamkeit drei schöne kleine Seen, der Kleinsee, der Klopeinersee und der Sablatniggsee. Die Ufer des letzten sind versumpft. Der Wanderer, welcher dieses weite Moos von einer Anhöhe aus betrachtet, fragt sich wohl, warum die Bauern dieses Stück Land nicht für Weidezwecke nutzbar machen. Kehrt er aber bei einem ein und erkundigt sich über das Moorland, so erzählt man ihm folgende Sage:

Nicht weit vom Ufer des Sees liegt ein Bauernhof, im Volke Živo genannt. Die Weideplätze und Wiesen dieses Hofes grenzen an das Moos. Vor vielen Jahren lebte auf dem Anwesen ein tüchtiger, fleißiger Bauer, der sein Gütchen allmählich vergrößerte. Besonders zeichnete er sich als Viehzüchter aus. Er hatte im Umkreise von mehreren Meilen die schönsten Rinder, den schönsten Zuchtstier. Kein Wunder daher, wenn dem Bauer dessen Verlust zu Herzen ging, denn eines Abends war dieser verschwunden. Die Spuren führten in das Moos. Nie war es dem Bauer früher eingefallen, dieses in ertragfähigen Boden umzuwandeln, aber jetzt ließ ihn der Gedanke nimmer ruhen. Da keiner der Nachbarn dafür zu gewinnnen war, machte sich der Živobauer allein an die schwere Arbeit. In kurzer Zeit hatte er Abflußgräben gezogen und schon wollte er an die eigentliche Trockenlegung schreiten. Als der Bauer wieder einmal - es war am frühen Morgen - nach dem Ufer des Sees ging, begegnete ihm ein Mann in fremder Tracht. Der Bauer wollte nach kurzem Gruße an dem Fremden vorübergehen, als dieser stehen blieb und fragte, wer denn die Bearbeitung des Mooses, das schon seit Jahrhunderten unberührt daliege, begonnen habe. Seiner Meinung nach sei dies ein Werk der Habsucht und werde nie zu einem Erfolge führen. Der Bauer hatte bisher den Fremden nicht unterbrochen; als er aber von „Habsucht" und „Vergeblicher Mühe" reden hörte, schwoll ihm die Zornesader auf der Stirne und er entgegnete in gereiztem Tone: „Dieses Moos will ich zu dem schönsten Weideplatze der Gegend machen; im übrigen habe ich deinen Rat nicht begehrt." Aber freundlich erwiderte der Unbekannte: „Ich würde dich von deinem Vorhaben nicht abhalten, wenn der Boden dein wäre; er gehört vielmehr den Wassergeistern dieses Sees und du forderst durch dein Vorgehen ihre Rache heraus." Anfangs hatte der Bauer staunend zugehört, dann aber setzte er lachend seinen Weg fort. Er beschloß, der Warnung des Fremden zu trotzen. Am nächsten Morgen zog er mit seinem größten Pfluge und drei Paaren starker Ochsen zum Moose. Kaum hatte er dort die erste Furche gezogen, hörte er hinter sich eine Stimme. Er sah sich um und erblickte den Mann von gestern. Dieser forderte ihn nochmals auf, von seinem Vorhaben abzustehen, aber wie zum Hohne trieb der Bauer die Zugtiere zu noch größerer Kraftanspannung an. Da senkte sich urplötzlich der Boden und der Bauer versank mitsamt dem Gespanne im unergründlichen Sumpfe. Dann schloß sich die Furche wieder und keine Spur war vom Geschehenen mehr sichtbar. Bald danach fand ein Bauer in einem anderen Sumpfe drei Joche und man will in ihnen die des Živobauers erkannt haben. Seit dieser Zeit hat niemand mehr versucht, das Moor zu entwässern.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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