Der Wilde Mann und die Wilde Jagd

In den Nächten vor Weihnachten bis zum Dreikönigsfesttage zieht die „Wilde Jagd“, das „Wilde Gjad oder Gjoad“, die „Wilde Reide oder Fåre“ über Felder und Wälder durch die Lüfte. Ein furchtbares Geheul, ein unheimliches Sausen und Brausen kündigt den Zug an, allerlei Tierstimmen werden laut, Hundegebell erschallt. Die Windischen nennen die Wilde Jagd divji lov, divja oder ponočna jaha. Der Wilde Mann reitet mit großem Gefolge einher, begleitet von sechs Hunden. Er selbst wird in der Volkssage geschildert als Mann von auffällig starkem und großem Körperbau, der einen breiten Hut auf seinem Kopfe trägt und in Begleitung von dreifüßigen Hunden in den Dämmerungs- und Nachtstunden durch Wald und Busch reitet. Seine Füße sind klein („kurz an der Schaufel“), die Stimme kräftig und rauh. Begegnet ihm jemand des Nachts auf offener Straße, so muß er, wenn er unbehelligt davonkommen will, sich aufs rechte Wagengeleise legen. In einigen Gegenden des Rosentales heißt es, je mehr er sich dabei mit Straßenerde beschmutzt, um so besser für ihn. Werden mehrere Personen auf freiem Felde vom Wilden Gjad überrascht, so können sie sich vor diesem dadurch bergen, daß sie sich in Kreisform mit gegeneinander gerichteten Köpfen auf den Boden legen. Leuten, die keinen dringenden Weg haben und sich vor der Wilden Jagd nicht zu sichern wissen, wirft der „Waldmann“ ein Häkchen in den Rücken, von dem sie erst nach Ablauf eines Jahres an demselben Platze befreit werden können. Verderblich ist es, das nächtliche Heer im Vorüberziehen anzurufen.

1. Im Rosental ging einmal ein Bauernbursche, der dieses Gebot nicht kannte durch den Wald, als die Wilde Jagd darüber hinwegfuhr. Da vernahm er ein seltsames Geschrei und glaubte einen Jäger in der Nähe. Als er den Ruf erwiderte, stand im Nu ein hagerer Mann vor ihm, dessen Hunde den Erschrockenen umstellten, und gab ihm einen rohen Pferdeschenkel mit dem, Bemerken, er müsse heute über ein Jahr genau auf diesem Platze erscheinen und ihm den „Schinken“ unversehrt zurückstellen. Traurig zog der Bursche von dannen.

In seiner Not, wie er es anzufangen habe, damit das Fleisch nicht in Verwesung übergehe, begab sich der Geängstigte zum Ortspfarrer. Dieser wußte Rat; er solle den Schinken mit leinernen Fetzen umwickeln, in einen irdenen Topf tun und in dem Düngerhaufen eingraben. Das tat er denn auch und als er am Jahrestage zur bestimmten Stunde sich an der alten Stelle einfand, traf er denselben Mann wieder an. Dieser wunderte sich über die Genauigkeit des Burschen, lobte ihn darob und sagte: „Das ist dein Glück! Sonst hätte ich dich zermalmt wie die Mühlsteine das Korn.“

 

2. Wie diesem Burschen erging es einem Keuschler in der Nähe der Ehrenfeste bei Pölling, der den Wilden Mann im Vorüberjagen spottete. Der Jäger warf ihm einen frischen Pferdefuß auf das Dach und sprach: „Weil du mir hast geholfen jagen, so mußt du mir auch helfen nagen. Heut ein Jahr komm’ ich wieder und ich will alsdann von dir den Fuß fordern, den ich dir soeben auf dein Dach gelegt.“ Der Keuschler nahm den Fuß, umwand ihn mit einem Hanfnetz und scharrte ihn in ein mit Lehm belegtes und mit Mistjauche übergossenes Erdloch ein. Nach Verlauf eines Jahres stellte er ihn unversehrt an den gleichen Ort. Als nun der Wilde Mann wieder vorbeijagte, nahm er den Fuß mit dem Bemerken vom Dache: „Hätt’ ich den Pferdefuß am Dach nicht vorgefunden, so hatte ich dir den deinen genommen.“

 

3. Bei einem Bauer im Mölltal war ein lustiger, zu jedem Scherz aufgelegter Knecht bedienstet. Er wollte weder glauben, daß es eine Wilde Jagd gebe, noch daß sie einem Menschen Schaden zufügen könne. Sehnsüchtig erwartete er die Nacht vor dem Dreikönigstag, in welcher die Wilde Jagd umherziehen soll, um sich selbst von der Wahrheit zu überzeugen. Er brannte vor Begier, ein Abenteuer zu erleben. Nun sank die Nacht herein und der Knecht ging nach dem Abendessen auf den „Heustock“, wo er durch ein Loch ins Freie sehen konnte.

Sein müder Körper verlangte jedoch nach Ruhe und bald verfiel er in sanften Schlummer. Plötzlich weckte ihn ein Sausen und Brausen aus seinen Träumen, er hörte viele Stimmen und Pferdegetrampel in der Luft. Sogleich gedachte er seines Vorhabens und rief in den Lärm hinaus: „Mir a an Brock'n!“ Kaum hatte er dies getan, so flog ein ganzer Pferdeschenkel durch das Loch herein, gerade neben ihn hin. Da erfaßte ihn ein Grausen, seine Sinne verwirrten sich und er fiel in Ohnmacht, aus der er erst am Morgen erwachte.

Nun begab er sich sogleich zum Pfarrer des Dorfes um Rat. Es wurde ihm der Bescheid zuteil, das Fleisch im Dünger zu vergraben, weil sonst die Wilde Jagd wiedergekehrt wäre und den Knecht zerrissen hätte. Das tat er und war fortan überzeugt von der Wahrheit der Sage und lebte still und in sich gekehrt all seine Tage.


Die Sage vom Wilden Mann ist am Ulrichs-, Johannser-, Florianiberg, in der Osterwitzer Gegend, Grabenbach, Greutschach, Diex, Krähwald und anderwärts sehr verbreitet und es gibt noch Leute, welche allen Ernstes behaupten, mit ihren Augen den „Wilden Mann“ gesehen zu haben.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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