Eine Drautaler Sage vom Wettersee

Ein alter Mann wollte sich überzeugen, ob das Gerede der Leute denn auch wahr sei. Er ging deshalb zum See hin und schleuderte einen Stein hinein. Nicht lange, so fing es zu donnern, zu blitzen und zu regnen an. Der Regen wurde immer heftiger, der See schwoll an und trat über die Ufer. Da hielt sich der Alte nicht mehr für sicher, floh von dannen und kam zu einer Alpenhütte. Hier glaubte er Obdach und Schutz zu finden. Aber auch hierher war ihm das Wasser gefolgt. Und plötzlich kam im ärgsten Sturm und Regen ein ungroßer Mann, halb nackt und mit langem grünem Gras bewachsen, auf ihn zu. Es war der Wassermann. Zornig verwies er ihm sein Beginnen und sagte: „Ist's nicht genug, daß mich die Kinder beständig beeinträchtigen und stören, mußt nun es auch noch du tun, der doch schon so alt ist?" Dann nahm er den Alten an der Hand und führte ihn mit sich. Bei einem Felsen, der sich auf ein paar Streiche von selbst öffnete, hielten sie an. Durch diesen führte ihn nun der Wassermann in einen langen, unterirdischen Gang, ihn fortwährend an der Hand haltend. Anfangs war es sehr finster, aber je weiter sie gingen, desto lichter wurde es; denn die ganze Wand war Karfunkelstein und dieser leuchtete wie das hellste Licht. Endlich kamen sie auf einen freien, weiten Raum, in dem viele tausend Menschen beschäftigt waren und an einer großen Maschine arbeiteten, um das Wasser in die Höhe zu treiben. „Jetzt schau einmal", sagte der Wassermann zu dem Alten, „was ihr den Leuten für Arbeit macht. Wie lange müssen die pumpen, um soviel Wasser hinaufzubringen. Die Leute aber, die du da siehst, sind alle im See ertrunken." Hierauf warnte er ihn abermals und trug ihm auf, auch seinen Kindern zu verbieten, daß sie Steine in den See würfen. Dann führte er den Alten wieder zurück und erlaubte ihm, mitzunehmen, was er einstecken könne. Als der Alte nach Hause kam, erfuhr er, daß er schon einen ganzen Monat ausgewesen sei, während ihn die Zeit kaum einen Tag dünkte. Die Sachen aber, die er mitbrachte, waren viele Millionen wert.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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