Der Wassermann zu St. Jakob

In einem Orte bei St. Jakob im Rosentale glückte es einst einem Bauer, namens Wolf, den Wassermann der Drau zu fangen. Er hielt ihn lange Zeit in sicherem Gewahrsam und viele Neugierige kamen täglich herbei, um seinen Erzählungen zu lauschen; denn der Gefangene wußte gar seltsame Dinge, die sich in der Umgebung abgespielt hatten, zu erzählen. Wenn er gefesselt durch das Dorf geführt wurde, staunten die Leute, daß ihm alle Geheimnisse des Ortes bekannt waren, ja sogar Geschehnisse, an welche sich nur mehr die ältesten Bewohner erinnern konnten. Aber alle Geschichten, die er vorbrachte, klangen in die flehentliche Bitte aus, ihn doch wieder freizulassen. Nach langer Zeit ließ sich der Bauer endlich erweichen und beschloß, ihm die Freiheit zu schenken. Da führte man ihn zum letztenmal durch das Dorf. Als sie am Friedhofe vorüberkamen, befragten ihn die Leute über so manchen Toten, der dort seit langem ruhte. Der Wassermann wußte genauen Bescheid, wie und warum der und jener gestorben sei. Die Bauern gerieten in sprachloses Erstaunen und wurden nicht müde, an ihn immer neue Fragen zu stellen. Er zählte die Leute namentlich auf, welche zu langem Leben bestimmt, durch geheime Verbrechen vorzeitig gestorben waren. Mittlerweile war der Zug über den Friedhof hinaus vor das Dorf gelangt und der Wassermann entlief in weiten Sprängen, der köstlichen Freiheit froh. Doch bevor er ihren Blicken entschwand, rief er ihnen noch zu, sie hätten so viele Fragen an ihn gestellt, aber die wichtigste vergessen: was nämlich das Kreuz in der Nuß zu bedeuten habe. Seither ward er nicht wieder gesehen.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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