Der Türmer zu Klagenfurt

In früheren Zeiten war es Sitte, daß der Feuerwächter auf dem Turme der Stadtpfarrkirche zu Klagenfurt stündlich die Runde machte und mit einem Hornrufe nach allen Himmelsrichtungen die Stunden verkündigte. Um Mitternacht durfte er jedoch nur nach Westen, Norden und Osten blasen, niemals nach Süden, wo vor der Stadt der Friedhof von Sankt Ruprecht liegt, um die Toten nicht wachzurufen.

Einst versah ein arger Trunkenbold das Türmeramt. Als er einmal spät abends mürrisch an seinem Stammtisch erschien, hänselte ihn einer seiner Zechbrüder wegen dieser Verspätung; ein anderer setzte die Sticheleien fort und begann den Sohn des Türmers zu verspotten, der in Abwesenheit des Vaters die Stunden blies. Wenn dieser das Horn ertönen lasse, klinge es so kläglich, als wolle er die Toten erwecken. Der Spott seiner Trinkgenossen versetzte den Alten in solche Wut, daß er wie sinnlos fortrannte und drohte, ihre Worte wahrzumachen. Kaum hatte er den Turm erstiegen - es war kurz vor Mitternacht - so ergriff er das Horn und begann mächtig zu blasen: erst nach Norden, dann nach Osten und Westen, schließlich nach Süden. In tödlichem Schrecken stürzte sein Weib herbei und wollte dem Rasenden das Horn entwinden, doch vergeblich. Er blies nur noch kräftiger nach Süden hin, daß es über die Stadt und die Felder hin klang in den Friedhof.

Da beginnen sich die Gräber zu öffnen, grausige Gestalten steigen daraus hervor und wandeln, zum Zuge geordnet, im fahlen Lichte des Mondes dem Turme zu, woher der Ruf erklingt. Immer näher kommen sie heran, schon erblickt sie der Türmer und sinkt vor Schrecken in die Knie. Aber es ist zu spät. Bereits erklimmen die Geister mit flatternden Hemden den Turm, schon langt der erste mit seinen Knochenfingern durch das Eisengitter des Ganges nach dem vermessenen Türmer - da erdröhnt in der Glockenstube der erste Stundenschlag, und die Gerippe zerstieben. Seit der Zeit wagte es kein Türmer mehr, nach Süden zu blasen und die Toten aus ihrem Schlafe zu wecken.

St. Ägid in Klagenfurt © Harald Hartmann

Pfarrkirche St. Ägid in Klagenfurt - Blick nach Süden.
© Harald Hartmann, August 2006

Anders lautet eine zweite Sage: Einem Stadtpfarrtürmer waren sein Weib und drei liebliche Kinder gestorben. Das verdüsterte ihm sein ohnehin freudenarmes Leben noch mehr; er verfiel in solche Schwermut, daß er Tag und Nacht nur an seine Lieben dachte, die ihm der Tod geraubt.

In einer stürmischen Nacht, da seine Sehnsucht schier nicht mehr zu bezwingen war, faßte er den Entschluß, zu erproben, ob die allgemeine Sage, daß der Ruf nach Süden die Toten zu erwecken vermöge, auf Wahrheit beruhe. Nachdem er also die Mitternachtsstunde nach den drei üblichen Richtungen verkündet hatte, wandte er sich gegen Süden und blies. Und siehe, da bewegte sich eine Schar weißer Gestalten nach dem Turme, erklomm die Stufen und schloß den frevelhaften Türmer in ihren grausigen Ringeltanz ein. Am Morgen fand man den Türmer entseelt vor seiner Stube liegen.

Türmerstube der Pfarrkirche St. Ägid in Klagenfurt © Harald Hartmann

Türmerstube der Pfarrkirche St. Ägid in Klagenfurt.
© Harald Hartmann, August 2006

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
© digitaler Reprint: www.SAGEN.at