Die Kirche St. Stefan im Gailtal

Vor vielen Jahren hat im Gailtal eine böse Krankheit, die Ruhr, geherrscht und massenhaft starben die Bewohner dahin. Besonders gelichtet wurde durch die Krankheit die Bevölkerung abwärts vom Presseggersee, und man vermutete, wahrscheinlich nicht mit Unrecht, daß der böse Geist sein Heim im großen Förolachermoos aufgeschlagen habe, weil gerade in der Umgebung dieses Mooses die meisten Todesfälle vorkamen.

Als die Krankheit nicht nachlassen wollte, beschlossen die übriggebliebenen Bewohner, in der Nähe des Förolachermooses eine Kirche zu erbauen, taten sich zusammen und gingen an die Arbeit. Es wurden Steine zugeführt und Kalk gebrannt; die Arbeit wollte jedoch nicht recht vorwärtsgehen; alle Augenblicke geschah ein Unglück. Die Zimmerleute, die das Holz zum Turm herrichteten, verletzten sich mit ihren Äxten, so daß sie nicht mehr weiterarbeiten konnten.

Der Dorfälteste berief dann die frommen Kirchenbauer zusammen und hielt ihnen vor, daß die fortwährenden Unfälle ein schlechtes Zeichen für die künftige Kirche seien und wahrscheinlich nicht der richtige Bauplatz gewählt worden sei. Die Leute wollten aber durchaus eine Kirche bauen, obgleich sie nicht wußten, wo sie stehen sollte. Da kam eines Tages ein Ziegenhirte von der Sonnseite herunter und erzählte, daß die Krähen auf einem Felsen mit Blut befleckte Holzspäne zusammengetragen hätten. Die Bauern gingen hin und fanden dort, daß die Krähen die Holzspäne, die von den verunglückten Zimmerleuten mit Blut befleckt waren, auf den Felsen getragen hatten. Dies zeigte ihnen den Ort an, wo das Kirchlein erbaut werden sollte.

Noch heute gilt unter dem Volke die Kirche St. Stefan als wundertätig, weil sich dort die Mädchen den Mann und die Burschen das Weib erbitten können.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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