Otrob und Napoleon

Ober dem Orte Feistritz im Rosentale kann man noch heute einen halb verfallenen Bauernhof sehen, der jetzt teilweise als Heustadel benützt wird. Eine seltsame Geschichte knüpft sich an dieses Gehöft.

Dort hauste im 18. Jahrhundert ein freier Bauer, reich begütert und überall angesehen. Er war Vater von drei Söhnen und einer Tochter, die von seltener Schönheit war. Viele schmucke Freier hatte sie bereits abgewiesen, keiner war ihr gut genug. Sie wollte warten, bis einer kam, der besser war als alle ihre Bekannten.

Da geschah es, daß der damalige Erbfeind Deutschlands auch nach Österreich kam. Und auch das stille Tal an der Drau, wo eben die Schneerosen blühten, wurde jetzt ein Tummelplatz rauher Kriegshorden. Auch nach Feistritz kamen sie. Während die Mannschaft unter der großen Dorflinde saß und zechte, stieg den schmalen Weg zur Kreuzkirche hinan ein junger Offizier, das war der gefürchtete Korse, der Tyrann Europas. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen und sandte spähende Blicke umher. Wer einmal in dieses Auge gesehen, der vergaß es wohl nimmer. Da flammte tiefe Leidenschaft, da glühte zugleich eine verzehrende Sehnsucht nach Glück und ein unaustilgbarer Lebensdurst. Die bleichen Wangen waren schmal und der Mund nicht frei von leichter Ironie. So sah er aus damals, als er in Feistritz war, erzählte ein altes Weiblein, und weiter noch folgendes:

Napoleon ging weiter, bis er zum „Otrob" kam; da lehnte die schmucke junge Dirn am Zaune und sah dem Ankommenden entgegen. Eine freudige Erregung trat auf das bleiche Antlitz des Feldherrn. Er sprach sie an, tat freundlich mit ihr und sagte ihr Dinge, über die das schöne Mädchen heiß erröten mußte. Er bat, sie möge ihn einlassen, und weil sie so ganz allein war, öffnete sie sorglos die Türe. Napoleon trat ein mit der Absicht, ein kleines Abenteuer zu erleben. Ihm gefiel das schöne Kärntnerkind mit den blitzenden blauen Augen und dem sonnigen Goldhaar. Beide verlebten unvergeßliche Stunden. Dann ging er, der alles so leicht eroberte, Länder und Frauenherzen; ein wenig bleicher war er noch, aber die kalte, strenge Miene ließ nichts von allem erraten. Er ging mit dem Gedanken, dem Leben einen schönen Augenblick abgerungen zu haben. Hinter sich aber ließ er ein zerstörtes Leben zurück. Ein bleiches, schönes Weib sah ihm nach, eine funkelnde Träne im blauen Auge. Sie wußte nicht, woher er kam, wohin er ging, sie wußte nur eins, daß sie ihn liebte. Nicht ein Gedanke kam ihr, es könnte einer von den Feinden ihres Volkes sein.

Dann kam der Vater. Er erzählte, was er gesehen, besonders viel von dem verhaßten Unterdrücker, und da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, daß jener blasse, schöne Offizier der Korse selbst gewesen sei. Ein ungeheures Weh durchschnitt ihre Brust. Sie liebte ihr Volk und haßte den fremden Feldherrn, von dem sie so viel gehört hatte. Aber eben jetzt empfand sie auch, wie sie ihn liebte mit der Liebe eines jungen Weibes.

Tage vergingen. Mehrere kleine Gefechte fanden statt. Viele Burschen verloren ihr Leben, auch die „Otrob" kamen nicht wieder. Der Bauer dachte nun nur mehr an das Glück seiner einzigen Tochter, die von Tag zu Tag bleicher wurde. Und eines Tages gestand sie ihm die begangene Schuld. In jähem Zorne traf er sie mit der flachen Hand tödlich an der Schläfe. Den Nachbarn erzählte er, sie sei von der Stiege gefallen. Man legte ihren jungen Leib unter den grünen Rasen.

Jahre vergingen. Der Bauer war alt geworden. Seine hohe Gestalt war gebeugt. Nur ein Ziel kannte seine Sehnsucht, die Rache an den Zerstörern seines Lebensglückes. Noch einmal zogen die Franzosen durch Kärnten. Der Otobbaner tat all sein Gold in Säcke und versenkte diese in den Brunnen. Er grub einen Gang, um sich in die Nähe der Feinde zu stehlen und den Verhaßten zu ermorden. Aber nicht den Gesuchten traf seine Kugel, sondern ein einfaches Soldatenleben. Ein tödlicher Schuß streckte auch ihn zu Boden.

Der Hof wurde leer, aber vom vergrabenen Schatz hört man heute noch sprechen. Auch der alte, längst eingefallene Brunnen wird noch gezeigt, und selbst die Spuren des Ganges sind noch erhalten. Zuweilen ist es nicht ganz richtig dort oben, und jeder meidet gern den Hof. In einer Nacht des Jahres aber sieht man den armen Bauer wimmernd und klagend herumirren. Er kann keine Ruhe finden, sagt das Volk, weil ihn Reue und Rachsucht nicht schlafen lassen.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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