Die versteinerten Linsen
Das Linsenfeld. Im Hintergrund der Ort Guttaring
© Harald Hartmann

In der Nähe von Guttaring liegt nördlich vom Hügel, auf welchem sich das Kirchlein St. Gertraud erhebt, ein Stück Land, welches das Versteinerte Linsenfeld heißt. Da findet man versteinerte Linsen, von denen einige wie durch einen äußeren Einfluß plattgedrückt, andere aber ganz voll und rund sind, als ob sie eben erst aus den Schötchen gefallen wären, und das in solcher Menge, daß man Hände voll auflesen kann. Der Name des Ackers findet in folgender Sage seine Erklärung: Es war am Tage St. Gertraud (17. März), an welchem die Feldarbeit beginnt. Ein armer Bauer hatte mit seinem Weibe und zahlreichen Kindern nichts mehr zu essen, obwohl er selbst sparte und hungerte, um der Seinen Hunger zu stillen. Es war alles vergeblich. Nun konnte er kaum erwarten, daß dieser Tag, den alle feierten, vorüberging, um einen Sack Linsen, das einzige, was ihm von der letzten Ernte übrig geblieben war, zu säen. Als die Leute nun scharenweise zum Gertraudkirchlein gingen, da faßte der Bauer den Sack und ging auf das Feld, um die Linsen zu säen. Er horchte nicht auf seine Frau, die ihn bat, den Feiertag zu heiligen; denn je früher er ernten konnte, desto eher hatte die Not ein Ende. Vergeblich blieben die Warnungen der frommen Kirchgänger, der Bauer säte die Linsen. Am folgenden Tage gingen auch die übrigen Bauern an die Aussaat. Als die Erntezeit herankam und der Bauer seine Linsen einheimsen wollte, o Wunder, da fand er in den Schoten statt der Früchte kleine runde Steine. Er selbst ward von Gott gestraft und auf seinem Feld zu Stein verwandelt. Erst wenn all die zahllosen steinernen Linsen von Vorübergehenden aufgelesen sind, wird seine Erlösungsstunde schlagen. Seit dieser Zeit führt jenes Feld seinen sonderbaren Namen.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
© digitaler Reprint: www.SAGEN.at

Anmerkung:
Bei den steinernen Linsen" handelt es sich um Gehäuse von so genannten Nummuliten. Es sind riesenwüchsige, einzellige Lebewesen aus der Klasse der Phizopoden (Wurzelfüßer), eine Unterklasse der Foraminiferen (Kammerlinge), die in mehr- bis vielkammrigen Gehäusen aus Kalk, Chitin, Sandkörnern u.a. und von verschiedener äußerer Gestalt leben. Die Gehäuse der Einzeller aus der Familie der Nummulitidae, die es seit der Kreidezeit gibt, sind Scheiben- bzw. linsenförmig oder kugelig und erreichen bei einzelnen Arten bis über 10 cm Durchmesser. Der Name wurde wegen der vielfach scheibenförmigen Gestalt vom lat. Nummulus = kleines Geldstück, abgeleitet.

Guttaring - Nummuliten

Versteinerte Nummuliten auf dem Linsenfeld in Guttaring
© Harald Hartmann

Während des Altertiärs (Paläozän - Eozän < 65 Mill. Jahre) erreichten die Nummuliten ein Maximum ihrer Verbreitung und traten in den Meeren teilweise offenbar in solchen Massen auf, dass die abgelagerten Schichten fast ausschließlich aus den Gehäusen abgestorbener Nummuliten bestehen. Derartige Kalk- und Mergelablagerungen waren einst, wie aus verschiedenen Funden zu schließen ist, auch in Kärnten relativ weit verbreitet.

Heute finden sie sich nur mehr in zwei begrenzten Bereichen und zwar in Wietersdorf-Sittenberg und in Guttaring. Bei der Verwitterung der bis zu 100m mächtigen, nur gering verfestigten Nummulitenmergel hier in Guttaring wurden und werden noch immer hunderttausende von einzelnen Tiergehäusen frei.

Sie haben wegen ihrer auffälligen, tatsächlich einem Linsensamen täuschend ähnlichen Gestalt schon vor langer Zeit die Aufmerksamkeit unserer Vorfahren erregt, die sie als versteinerte Linsen deuteten, deren Entstehung in der obenstehenden Sage erklärt werden sollte. Diese Steinernen Linsen" gehören also zu jenen wenigen Fossilien, die schon vor Jahrhunderten von den Menschen beachtet (wenn auch falsch gedeutet) wurden und besitzen somit eine hohe kulturgeschichtliche Bedeutung.

Quelle: Informationstafel der Gemeinde Guttaring beim Linsenfeld