Der Lavanttalersee

Befindet man sich ungefähr in der Mitte des Lavanttales, zwischen Wolfsberg und St.Andrä, und wendet seine Blicke gegen Westen, so sieht man auf einem Ausläufer der Saualpe die Ruine Reisberg. Ihr gegenüber auf der Koralpe steht eine andere verfallene Burg mit Namen Hartelsberg. Vor vielen Jahren, als beide noch ihrem Zwecke entsprachen, waren sie durch einen dunkelgrünen See, der damals noch das Lavanttal vom einen Bergzuge bis zum andern bedeckte, getrennt und die Bewohner der beiden Burgen standen in freundschaftlichem Verkehre. Jede Familie besaß nur ein einziges Kind, die von Reisberg einen Sohn, die von Hartelsberg eine Tochter. Die adeligen Kinder kannten sich schon seit ihrer frühesten Jugend, waren zusammen aufgewachsen und in Liebe einander zugetan. Die Eltern, welche dies mit Wohlgefallen merkten, beschlossen daher, die schon bestehende Freundschaft der beiden Familien mit der Verlobung ihrer Kinder zu besiegeln. Schon war der Tag dafür festgesetzt und wurde von den Liebenden mit stiller Sehnsucht erwartet. Endlich war er da. Der Burgherr und sein Sohn rüsteten sich zur Überfahrt, doch die Frau beschwor sie auf den Knien, für heute die Fahrt zu unterlassen, da sie in der Nacht einen schweren Traum gehabt und daher fürchtete, es könne ihnen unterwegs ein Leid zustoßen. Aber was nützte alles Reden und Flehen der geängstigten Frau! Sie waren nicht mehr von ihrem Entschlüsse abzubringen, bestiegen das Fahrzeug und ruderten rüstig dem jenseitigen Ufer zu. Die Fahrt ging gut vonstatten und glücklich landeten sie am Ziele. Kaum betraten sie das Land, als ein heftiger Sturm losbrach, der allgemach den See bis in seine Tiefen aufwühlte. Beflügelten Schrittes ging es nun dem Schlosse zu, dessen Bewohner ihnen schon entgegenkamen und die Ankömmlinge herzlich begrüßten. In fröhlicher Stimmung verlief das Fest; freudestrahlend saß der Bräutigam der lieben Braut zur Seite, bis die Stunde der Trennung kam. Doch da der Sturm noch immer tobte, bat der Burgherr seine Gäste, über Nacht bei ihnen zu bleiben und am nächsten Tage, wenn der See sich beruhigt habe, die Heimkehr anzutreten. Allein Vater und Sohn erklärten unbedingt fahren zu wollen, um die Frau durch ihr langes Ausbleiben nicht zu ängstigen. Trotz aller Einsprüche erhoben sie sich und wagten die Fahrt, da sie kräftige Männer waren und ausgezeichnet zu rudern verstanden. Der Sturm hatte indessen an Heftigkeit eher zugenommen und jeden Augenblick drohte ihr Fahrzeug umzukippen, so daß sie alle ihre Kräfte aufwenden mußten, um sich gegen die wütenden Wogen zu behaupten. Aber endlich vermochten sie das Schifflein nicht mehr zu meistern, es wurde von einer mächtigen Welle erfaßt, emporgehoben und in die Tiefe geschleudert, wo es mit seinen Insassen verschwand. In brünstigem Gebete flehte die Braut zu Gott und konnte die lange Nacht kein Auge schließen. Mit goldener Klarheit stieg am nächsten Morgen die Sonne über die Koralpe empor, wolkenlos lachte der blaue Himmel hernieder auf den See, der um die Hälfte seiner Breite zugenommen hatte. Um seine Tochter zu beruhigen, hatte der Hartelsberger nichts Eiligeres zu tun, als seinen Kahn loszumachen und zu seinem Schwieger zu fahren. Trieb ihn doch auch die geheime Sorge, ob die beiden glücklich nach Hause gelangt seien. Doch wie erbleichte er, als ihn die Burgfrau von Reisberg mit bekümmerter Miene um ihre Lieben fragte, welche die Nacht über ausgeblieben waren. Auch sie hatte sich, durch den Traum geängstigt, böser Ahnungen nicht erwehren können und bis zum Morgen auf ihre Lieben gewartet. Als nun der Graf gestand, daß diese gestern im ärgsten Sturme abgefahren seien, war es klar, daß die Armen in den Wellen ihren Tod gefunden hatten. Tagelang ward nun der See in seiner ganzen Breite nach den unglücklichen Opfern abgesucht, aber keine Spur war von ihnen zu entdecken. Um die Toten aber doch zu finden, beschloß die Witwe, die sich wie verzweifelt gebärdete, den großen See ableiten zu lassen und gelobte, dort eine Kirche zu bauen, wo die Leichen gefunden würden. Zu dieser Arbeit wurden drei Gefangene ausersehen, die im tiefen Burgverließe schmachteten, und ihnen die Freiheit versprochen, wenn sie das Werk zustande brächten. Willig machten sich die Begnadigten an ihre Arbeit und sprengten in der Nähe des heutigen Ortes Lavamünd beim sogenannten Siegelsteine einen großen Felsen, der das Tal absperrte. Das Werk gelang, aber die drei sollten ihre Freiheit nicht genießen, denn sie wurden von den ausbrechenden Fluten erfaßt und mitgerissen. Mit ungeheurem Tosen ergoß sich der See in die Drau. Auf dem Hügel, den heute das Stift St. Paul krönt, wurden Vater und Sohn eng umschlungen aufgefunden. An dieser Stelle ließ die Gräfin von Hartelsberg ein Kirchlein mit einem Kloster erbauen, besiedelte dieses mit Benediktinermönchen und gab ihm zum Andenken an den ertrunkenen Gemahl den Namen St. Paul.

Neben der Kirche steht heute noch ein Brunnen, Paulusbrunnen genannt, von dem die Leute sagen, daß er die Fundstelle bezeichne und nach dem Grafen benannt sei. Der fruchtbare Seeboden aber wurde von fleißigen Händen bebaut und bearbeitet und bedeckte sich im Lauf der Zeiten mit schönen Äckern und Wiesen, zwischen welchen heute, umkränzt von freundlichen Obstgärten, viele schmucke Dörfer liegen, weshalb das Lavanttal das Paradies von Kärnten heißt. Knapp am Siegelsteine, wo der Durchbruch erfolgt sein soll, führt heute die Eisenbahn vorüber.

Die Gräfin, welche einen so schweren Schlag kaum zu ertragen vermochte, besuchte nun tagtäglich in der von ihr gestifteten Kirche eine Messe und lebte fromm und gottesfürchtig. Wo und wann sie gestorben ist, weiß man nicht.

Allmählich ging auch die Burg Hartelsberg ihrem Verfalle entgegen und schaut gegenwärtig als einziger Zeuge jenes traurigen Vorfalls ins schöne Tal. Mancher alte Bauer versichert, nachts zwischen Zwölf und Eins die Fenster hell beleuchtet gesehen zu haben, als würden noch jetzt in den Gemächern des Schlosses glänzende Feste abgehalten. Einige wollen sogar aus der Burg ein Lärmen wie von vielen Menschen vernommen haben; dies stamme von dem verunglückten Raubritter, der im Grabe keine Ruhe finde und mit seinen Genossen an der Stätte seiner einstigen Tätigkeit umherwandle.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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