Von der seligen Hemma
1. Wie Hemma nach Maria-Elend wallfahrte.

Als sich Gräfin Hemma, die fromme Herrin von Friesach und Zeltschach, Mutter fühlte, unternahm sie eine Wallfahrt zu dem Muttergottesbilde in Maria-Elend. Der Name dieses Ortes stammt einer alten Sage zufolge daher, daß zur Zeit der Christenverfolgung in Kärnten die Boten des neuen Glaubens von den Römern in die zerklüfteten Felsengebirge dieser Gegend „ins Elend" verwiesen worden sind, oder entstand, weil sie in den dortigen Schluchten und Höhlen Schutz vor ihren Verfolgern suchten und fanden. Des Nachts, wenn diese Opfer ihrer Überzeugung keinen Überfall befürchteten, verließen sie ihre Schlupfwinkel und bauten, Männer, Frauen und Kinder, bei dem matten Lichte des Mondes auf einem hohen Berge der Gottesmutter eine Kapelle und schnitzten für diese ein Marienbild. Kapelle und Bild wurden mit der Zeit ein Gegenstand der Verehrung für die Gläubigen, die, kein Hindernis scheuend, über rauhe Felsenpfade zum Gnadenorte emporstiegen.

Dahin wollte nun auch frohen Herzens die fromme Gräfin, nachdem sie Schmuck und kostbare Gewänder abgelegt und sich in schlichte Kleider gehüllt hatte. Geduldig trug die Pilgerin alle Beschwerden der Wanderung. Spitze Steine und versteckt lauernde Disteln rissen ihr bald die zarten Füße wund, blutige Fußstapfen bildeten die Zeichen ihrer Wanderung. Frau Hemma aber gedachte ihres Gnadenbildes und lächelte verklärt. Hatte sie Durst, so schöpfte sie mit ihrer hohlen Hand das Silberwasser der Quellen; hatte sie Hunger, so pflückte sie Beeren; vermochte sie bei Anbruch der Nacht weit und breit keine Hütte zu entdecken, so legte sie ihr Haupt auf einen Stein und sah sich im Traume bereits kniend vor dem Muttergottesbilde.

Glücklich gelangte sie an den Fuß des Berges, auf dessen Höhe die Kapelle stand; aber hier erkannte sie bald, daß es ihr unmöglich sei, den steilen Felsen zu erklimmen. Auf ihren Knien flehte sie zu der Gnadenmutter, ihr den lange ersehnten Wunsch zu erfüllen, vor dem Bilde der Himmelskönigin beten zu dürfen. Dann schlummerte sie ein, und ein Glanz, der nicht von dieser Welt stammen konnte, ergoß sich um ihr Haupt. Sie sah im Traume, wie Engel die Kapelle hoben und talwärts trugen. Voll Dankbarkeit erhob sie ihre Hände gen Himmel und erwachte ob dieser Bewegung. Ihr Traum war zur Wahrheit geworden: die Kapelle stand im Tale, und Frau Hemma kniete vor dem Gnadenbilde. Unsäglich beglückt gelobte sie Marien, das ganze Vermögen daran zu wenden, um ihr für die namenlose Huld eine große, schöne Kapelle nahe bei Friesach zu erbauen.

Indes die fromme Hemma ihrer Andacht pflog, schlich sich der Satan, neidisch und erzürnt über die große Gunst, welche der Gräfin erwiesen ward, herbei, um ihre Seele dem Guten abwendig zu machen. Da verließ die geschnitzte Maria, ohne daß Hemma etwas merkte, ihren Platz, ergriff ein Bildnis ihres gekreuzigten Sohnes und sofort ergriff der Teufel die Flucht. Er stieg den Berg empor und mit jedem Schritte wuchs seine Gestalt. Zornig darüber, daß durch das Wunder die Mallfahrt zu dem Gnadenbilde noch mehr in Aufschwung kommen und vielen zum Heile dienen werde, suchte er die Kapelle zu zerstören. Ungeheure Blöcke riß er von den Felsen und schleuderte sie in grimmiger Wut gegen das Kirchlein. Aber die heilige Jungfrau hielt dem Tobenden das Kruzifix vor Augen, das er nicht gerade anzusehen vermag. Schief wurde sein Blick, kein Stein berührte die Kapelle, denn mit schielendem Auge traf er sie nicht. Seitwärts fielen alle Felsstücke, die mit donnerndem Getöse ins Tal rollten; dort liegen sie noch heute und bedecken die Gegend ringsum. Knurrend, in ohnmächtiger Wut, verließ der Gehörnte die ihm unheimliche Stätte.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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