Ein Hausgeist

Eben sank die Sonne hinter den Bergen, es war um die Zeit des Betläutens, als das Gesinde des Glanzer, eines Bauers im Nöringgraben, auf der Halt ob dem Hause eine wunderhübsche Kalbin weiden sah. Das Stück war fremd, aber derart gut gebaut, daß sich der Bauer verleitet fühlte, es zu seinem Vieh in den Stall zu stellen. Dann brach die Nacht herein. Sie sollte ihm übel bekommen.

Kaum breitete sich völlige Finsternis aus, als die Tiere im Stalle zu stöhnen und poltern begannen. Durch ihr Angstgebrüll drang dann und wann ein unheimliches Geschrei. Keiner getraute sich in den Stall. Als man am Morgen Nachschau hielt, war keine Kalbin mehr da.

Am nächsten Abend kam’s in die „Rauchkuchl“; durch den Ausguß soll es hineingelangt sein. Ein schreckliches Schlagen geschah dort während der ganzen Nacht, alles Geschirr, so Holz wie Ton, lag am Morgen zerbrochen durcheinander auf dem Boden. Keines Menschen Fuß betrat während des Spukes den Raum.

So ging es fort etliche Monde. Einmal kam ein Spielmann des Weges; seine Tiere, ein Bär, ein Affe und ein Hund, trotteten hinterdrein. Als er ins Gehöft trat und um Unterkunft bat, wies ihm der Bauer die Rauchkuchl an, nicht ohne ihn vor dem gefährlichen Unwesen des Geistes zu warnen. Aber der wegmüde Spielmann legte kein Gewicht darauf und bezog mit seinen Begleitern den unheimlichen Raum.

Draußen lag die stille, dunkle Nacht. Da hob es wieder an. Wie ein Ungewitter fuhr es unter die Tiere, die unter der unsichtbaren Drangsal stöhnten und ächzten. Haarfetzen flogen von ihren gehetzten Leibern, so arg setzte ihnen der Geist zu. Bald ein Angstschrei des Affen, bald das tiefe Brummen des Bären, dann wieder ein unheimliches Wehgeheul des Hundes. Der Spielmann war hinter den Kachelofen geflüchtet und sah mit Grauen auf das höllische Spiel. Plötzlich hörte es auf. Todmüde lagen die Tiere am Boden, der mit Haarbüscheln ihres Felles übersät war.

Am Morgen fragten die Hausleute neugierig, wie der Spielmann geruht habe, doch dieser - fast schämte er sich, die Wahrheit zu gestehen - tat eine bedeutungsvolle Bewegung und kehrte dem unwirtlichen Gehöfte den Rücken. Von nun an herrschte dort einige Jahre Ruhe. In einer Frühjahrsnacht, da gellte es durchs Fenster zum Bauer hinein: „Hast du die graue Katz’ noch?“ - „Ja“, antwortete geistesgegenwärtig der Bauer. Weil er dies tat, kam das Schreckgespenst nicht wieder, denn es fürchtete den starken Bären des Spielmanns.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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