Sagen von der Goldwand

1. Südlich von Spittal an der Drau erhebt sich das mehr als 2000 Nieter hohe Goldeck. In früheren Zeiten wurde an einigen Stellen dieses Berges nach Gold gegraben, da sich aber der Bergbau zu wenig lohnte, unterließ man das weitere Suchen nach Gold. Meist wird der Name Goldeck auf diese Weise gedeutet, die Volkssage jedoch weiß darüber anders zu berichten.

Drei Hirten weideten an den Abhängen des Goldecks ihre Herden. Früh morgens schon trieben sie ihre Schafe auf die Weide hinaus und ließen sie dann laufen, wohin sie wollten, während sie selbst ihrem Spiele nachgingen. Erst am späten Nachmittage suchten sie die Schafe wieder zusammen und trieben sie in ihre Stallungen. Als Ruheplätzchen hatten sie sich eine schattige Stelle auserkoren, welche in unmittelbarer Nähe der heutigen „Goldwand“ lag.

Eines Tages nun erblickten die Hirten, wie sie eben ihr Ruheplätzchen aufsuchten, in einem Felsspalt der Goldwand eine weißgekleidete Frau, die einen großen Schlüsselbund in der Hand hielt. Verwundert blieben die Hirten stehen; die Frau aber winkte ihnen, ihr zu folgen, und führte sie durch einen langen, finsteren Gang in den Felsen hinein. Sie kamen zu einer eisernen Tür, welche die Frau öffnete, und da dehnte sich eine geräumige Halle, in der es von Gold und Edelsteinen flimmerte. Die Frau erlaubte den Hirten, soviel zu nehmen, als ihre Taschen zu fassen vermochten. Die Hirten, lauter arme Kerle, füllten ihre Jausenränzchen und alle Taschen voll und waren froh, endlich einmal von ihrer Armut erlöst zu sein. Bevor sie von ihr Abschied nahmen, gebot ihnen die Frau eindringlich, niemandem was zu sagen, wo und von wem sie das viele Gold bekommen hatten. Sie versprachen es und gingen frohen Sinnes heim.

Es läßt sich denken, daß die Leute neugierig nach der Herkunft des Goldes forschten, und die Hirten Mühe hatten, ihr Geheimnis zu verschweigen. Lange Zeit widerstanden sie allen Fragen, aber endlich verriet einer, wie sie zu dem Reichtum gelangt waren. Im selben Augenblicke verwandelte sich all das schöne Gold in Stein, und sie waren für die Schwatz-haftigkeit des einen bestraft. Als sie am nächsten Tage die Wand wieder aufsuchten, gewahrten sie zu ihrem Erstaunen, daß der Felsspalt verschwunden war. Zur Erinnerung an den großen Schatz, welcher sich der Sage nach innerhalb der Felswand befindet, nannte man diese die Goldwand, und so heißt sie noch jetzt.

 

2. Die Steine des Gebirgszuges sind goldhaltig. Daß man dies schon lange glaubt, besagt der Name der höchsten Spitze, „Goldeck“ und andere, und daß wirklich Gold zu finden ist, beweisen die neun oder zehn Buchstaben am Sachsenhof unterhalb Feistritz, welche mit Gold überzogen sind, das angeblich in diesem Berg gewonnen wurde; freilich ist es so spärlich zu finden wie Silbergeld bei Bettlern. Schuld daran ist, wie die Sage erzählt, daß niemand das Glück hat, die Stellen zu finden, wo sich das Gold in baumstarken Adern verzweigt; und die es hatten, haben es verscherzt. Eine solche Stelle gibt es an der Schwalbenwand, steil auf fast vier Stunden von der Ortenburg weg. Hier ist ein Zauberschloß, das nur alle hundert Jahre einem Glücklichen sichtbar wird. An einem Fenster dieses Schlosses lehnt dann eine große weiße Frau mit einem Schlüsselbunde und winkt demjenigen, der sie erblickt. Folgt er ihrem Winke, so führt sie ihn zu dem Ursprung einer Goldader und dann kann er graben und reich werden.

Ein Schafhirte sah sie einst, aber seine Schafe waren zerstreut, und da er fürchtete, sie möchten, wenn er zu lange zu tun hätte, sich ganz versteigen, bat er die winkende Gestalt, soviel Geduld zu haben, bis er seine Tiere zusammengetrieben hätte. Doch als er zurückkam, waren Frau, Schlüssel und Schloß verschwunden.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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