Die Entstehung der Stadt Gmünd
Anicht der Stadt Gmünd von der Burg © Harald Hartmann
Anicht der Stadt Gmünd von der Burg.
© Harald Hartmann, August 2006

Im Liesertale erhebt sich östlich von Leoben auf einem kleinen Bergesrücken die Ruine Leobenegg. Von dieser geht die Sage, daß auf ihr einst ein Graf aus dem Geschlechte der Rastelhofer gebot. Die Anhöhe auf der gegenüberliegenden Seite des Tales beherrschte die Burg der Ritter von Kroneck. Das Tal erfüllte damals ein großer See, der das Liesertal von der Ruine Rauchenkatsch bis vor Gmünd heraus bedeckte, im Westen bis zur Brandstatt im Maltatale und noch weit in die Nebentäler, den Leobengraben und das Nöringtal hineinreichte. Im Süden endigte der See in einem engen Tale, an dessen mächtigen Felswänden sich das Wasser brach. Schöne und fruchtbare Landschaften breiteten sich an seinen Ufern aus.

In ungetrübtem Glücke, von den Untertanen hochgeschätzt, verbrachte die gräfliche Familie des Rastelhofers ihr Dasein, bis auch für sie der Tag kam, an welchem sie von schwerem Unglück heimgesucht wurde. Der blühende Sohn des Grafen, Pongratz geheißen, war mit dem Ritterfräulein von Kroneck verlobt. Infolge einer Verabredung mit seiner Braut ließ er sich eines Abends trotz eindringlicher Bitten und Warnungen seiner Mutter nicht zurückhalten, sondern bestieg einen leichten Kahn und fuhr in die finstere Nacht hinaus, auf das Licht vertrauend, welches ihm das Fräulein in ihrem Fenster aufzustellen versprochen hatte. Süße Sehnsucht nach der Geliebten im Herzen, blickte er nur auf das schimmernde Licht und beachtete gar nicht, daß schwere Wolkenmassen sich über dem See zusammenzogen. Ein heftiger Windstoß kündete das Gewitter an, bald fielen einige Tropfen. Der Donner grollte und schon fuhren leuchtende Blitze durch die Luft. In fürchterlicher Wallung tobte der See und warf schäumende Wellen in das Boot, welches bald wie eine Nußschale von Woge zu Woge geschleudert ward. Mit Leibeskräften rudert der kühne Jüngling auf das ferne Licht zu, seine sehnende Liebe siegt über die bange Furcht, die ihn im Sturmesbrausen allgemach beschleichen will. Schon befindet er sich mitten im See, da erlischt das Licht im Fenster der Geliebten und tiefes Dunkel umgibt ihn. Zwar glaubt er eine Zeitlang, so oft die zuckenden Blitze das fürchterliche Bild erhellen, die gleiche Richtung zu halten, aber er irrt schon in der Finsternis umher und bald erlahmen seine Kräfte; sein Kahn ist ein Spielzeug der unbarmherzigen Wellen, mit rasender Schnelligkeit treibt ihn der Sturm an einen Felsen und im nächsten Augenblicke ist es um ihn geschehen.

In quälender Angst um den einzigen, geliebten Sohn brachten die Eltern eine fürchterliche Nacht zu. Am nächsten Morgen schickten sie Boten nach Kroneck und zu den nächsten Verwandten, aber nirgends war Pongratz gesehen worden. Die Braut weinte bittere Tränen der Reue, da sie auf das Licht nicht geachtet und dadurch den Tod des Geliebten verschuldet hatte. Eben saß die Gräfin weinend am Tische, der Vater blickte tief bekümmert in die Ferne, als ein Hirtenknabe die Nachricht brachte, daß er ein Schifflein entdeckt habe, das, hinter Gesträuch verborgen, in den Wellen schaukelte. Es gleiche dem Fahrzeuge, das der junge Graf besessen habe. Alsbald ward ihre schreckliche Ahnung zur Gewißheit, die armen Eltern hatten ihren Sohn verloren, Um den so unverhofft Verlorenen noch einmal zu sehen und seinen Leib in geweihter Erde zu bestatten, ward der ganze See abgesucht. Tage und Wochen vergingen, aber die Leiche konnte keiner von den vielen finden, welche der Graf ausgesandt hatte. Da es kein anderes Mittel mehr zu geben schien, ließ der schmerzgebeugte Vater endlich die Felsen sprengen, welche das Wasser des Sees zurückhielten. Brausend stürzte die ungeheure Wassermenge durch das heutige Liesertal, bis sie wieder ein weites Becken fand, wo sie sich dauernd einbettete. So ist der Millstättersee entstanden.

Als sich das Wasser verlaufen hatte, ging man eifrig daran, den Vermißten zu suchen. Endlich fand man ihn. Ganz mit Schlamm bedeckt und vom Wasser fast unkenntlich gemacht, lag er zwischen zwei mächtigen Steinen. Die Eltern erkannten ihr liebes Kind sogleich, ließen es begraben und über der Stätte ein Kirchlein bauen, das Pongratzenkirchlein, welches jeden Gläubigen an den traurigen Vorfall erinnern sollte. Bald siedelten sich in der Nähe Leute an und machten den Boden urbar. Nach und nach erstand dort ein Dorf, auch ein Spital wurde erbaut und im Laufe der späteren Jahre gedieh der Ort zu dem Umfange, den er jetzt besitzt. So berichtet die Sage von der Entstehung der Stadt Gmünd. Noch heute steht das Pongratzenkirchlein, es dient aber nicht mehr seinem ursprünglichen Zwecke, sondern ist zu einem Pferdestall umgewandelt worden. Das südliche Tor der Stadt, das Pongratzentor, bewahrt gleichfalls die Erinnerung an jene Begebenheit. Auch der Name des Kirchleins Maria im Moos wird aus dem einstigen Dasein des Sees von Gmünd gedeutet.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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