Der Dienstag und der Donnerstag

In einer Pfarre des Unterrosentales und den am Fuße der Karawanken liegenden Ortschaften haben die Bauern die Gewohnheit, den Dienstag- und Donnerstagabend dadurch zu feiern, daß sie nach dem Abendessen nicht mehr spinnen. Zur Rechtfertigung dieses Brauches erzählen sie folgende Sage:

In einem einsam gelegenen Gebirgshäuschen feierte ein Weib an jedem Dienstag- und Donnerstagabend. Plötzlich erkrankte ihr Mann. Als die Nacht herannahte, sagte er zum Weibe: „Rufe jemand, diese Nacht wird sehr schlimm sein!“ „Wenn du auch sterben solltest“, erwiderte die Häuslerin, „ich werde dich schon selbst waschen, ankleiden und auf die Bahre legen.“

Um neun Uhr war der Mann bereits tot, und sie tat, wie sie gesagt hatte. Als sie nun an seiner Leiche wachte, schlug die Geisterstunde, und was geschah! Der Tote wollte sich aufrichten. Angstvoll floh sie zur Türe, da trat ein großer, unbekannter Mann herein, der ein Haselnußstäbchen unter dem Arme trug. Damit schlug er den aufsitzenden Toten, worauf sich dieser wieder legte, aber aber eine Weile sich wieder aufzurichten begann. Da trat ein zweiter Mann zur Tür herein und brachte den Toten auf gleiche Weise mit einem Haselnußstäbchen zur Ruhe. So bewachten die zwei Männer den Leichnam und schlugen ihn mit ihren Ruten, sobald er sich bewegte, bis die Geisterstunde vorüber war. Nun wandten sich die unbekannten Schutzgeister zur beklommenen Häuslerin und sagten: „Wir beide sind der Dienstag- und Donnerstagabend, die du so fleißig verehrst; deswegen sind wir dir zu Hilfe gekommen, sonst hätte dich dein toter Mann in tausend Stücke zerrissen, da du seinen Wunsch nicht erfüllt hast.“ Hierauf verschwanden sie.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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