Der Welsche im „Gedrehten Stein"

In der Gegend der „Heusteige" bei der Schafhütte auf der Koralm erhebt sich ein grauer Stein, im Volksmunde „Gedrahter Stan" geheißen. Alljährlich am Palmsonntag steht er frommen Sonntagskindern offen, aber nur so lange, als der Priester am Altare die Passion liest. Da kam nun einmal zu einem alten Bauer auf der Rieding ein brauner Reiter aus Welschland. Es war am Vorabende des Palmsonntages. Mit einer Summe Geldes bewog er den Alten, ihn zum „Gedrehten Stein" zu führen. Die aufgehende Sonne fand beide dort, den Bauer, der gemütlich sein Pfeifchen rauchte, und den Welschen, der voll Ungeduld auf den glücklichen Augenblick paßte. Glockengeläute verkündete den Beginn der Messe, und als es zum Evangelium läutete, da öffnete sich der Stein und ließ den Welschen ein. Der Bauer wartete gespannt, was weiter folgen würde; die Lesung der Passion mußte bereits zu Ende gehen, und noch immer kam der braune Mann nicht zurück. Da ertönte ein schrecklicher Krach, und die bisher sichtbare Tür im Felsen verschwand. Lange wartete der Bauer vor dem Steine, aber der Welsche kam nicht wieder.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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