Berchtra und die Wilde Jagd oder „Die Klage“

Die Berchtra, Perchtel oder wie sie von den Windischen genannt wird, Pechtra, Pechtra-baba ist beim Landvolke Kärntens ein gefürchtetes Schreckgespenst. Dem Drautaler sind Perchtl und Habergeiß gleichbedeutende Schrecknamen für Kinder. Ihre Lebensdauer reicht jährlich nur vom Feste der Heiligen Drei Könige bis zum Schlusse der Fastnacht. Aber schon in der Weihnachtszeit soll sie von Hof zu Hof wandeln, sich am Glücke der Menschen freuen und die Häuser der Guten segnen. Wo sie jedoch das Korn noch nicht gedroschen, den Flachs noch nicht gesponnen findet, da beschwört sie Unglück über das Haus, denn die Leute waren nicht tüchtig bei der Arbeit.

Am gruseligsten verläuft die Nacht vor Dreikönig. In den Lüften tollt die Wilde Jagd unter der Führung Perchtas. Hexen sausen auf Besenstielen dahin, nebenher wunderlich geformte oder kopflose Tiere und klappernde Totengerippe.

Wenn man in der Zeit zwischen dem Christtag und Dreikönig nachts auf den Singerberg geht, so hört man einen gewaltigen Sturmwind heulen; damit kündigt sich die Wilde Jagd an. Sie besteht aus einem großen, wildaussehenden Mann, der begleitet ist von dreifüßigen, eigentümlich bellenden Hunden. Auch die Pechtra-baba erscheint in dem Zuge. Da vernimmt man einen wirren Lärm und allerlei Tierstimmen, so von Mäusen, Ratten, Katzen, Hunden und Vögeln. Auch der Teufel soll sich in diesem Gefolge befinden. Der Wald hallt wider vom Geschrei der Jäger und Treiber. Es kommt immer näher und näher, ohne daß man etwas sieht. Der Mensch, welcher das Unglück hat, dieser Schar zu begegnen, wird von grenzenloser Furcht befallen. Wenn er ins linke Wagengeleise tritt, schwitzt er vor Angst Blut; tritt er ins rechte und legt sich zu Boden, das Antlitz zur Erde gekehrt, die Hände über dem Kopfe verschränkt, so verspürt er nicht die geringste Angst und die Wilde Jagd zieht über ihn hinweg, ohne ihn zu verletzen, sofern er auf die verschiedenen Rufe nicht antwortet. Dann hört er wohl von allen Seiten den Zuruf: „Dei Glück, dåß du dåliegst, sunst hiet’s di z’riss’n in Stab und Ǻsch’n." Bisweilen läßt das Wilde Heer eine wohlklingende Musik und vielhundertstimmigen Gesang ertönen.

In dem wüsten Durcheinander der Jagd erblickt man die Geister all derer, die im kommenden Jahre sterben sollen. Manchmal kündigt sich die „Wilde Fåre, die Wilde Reide oder das Wilde Gjag“ mit fern herklingendem Glockengeläute oder markerschütterndem Gejohle an, weshalb es auch „Die Klåge“ genannt wird. Ehe er sich’s versieht, ist der einsame Wanderer von einer Schar häßlicher, heulender Gestalten umringt. Es sind nach der Sage lauter Kinder, welche vor der Taufe gestorben sind und mit Frau Berchtra solange umziehen müssen, bis ein Mensch sie anredet. Der Eingeschlossene soll daher nicht feig die Flucht ergreifen, sondern beheizt auf das nächste Kind zugehen und im Nu ist die gräßliche Sippe verschwunden.

Einst war in Weißbriach bei einem Bauer ein ungetauftes Kind dem Tode nahe. Eine Bäuerin im selben Dorfe hörte in der Nacht das Wilde Heer vorbeiklagen. Sie ahnte, daß „Die Klage“ das ungetaufte Kind holen komme, und eilte rasch entschlossen auf einem andern, kürzeren Wege als „Die Klage“ zu dem Kinde. Das Wilde Heer muß nämlich einen ganz bestimmten Weg ziehen, den nämlich, welchen der Leichenzug und auch der Hochzeitszug durch das Dorf nehmen. Die Bäuerin kam früher an als „Die Klage“ und erteilte dem Kinde die Nottaufe. Da starb es, doch das Wilde Heer mußte unverrichteter Dinge abziehen.

Einmal ging ein Bauer von Weißbriach über den Kreuzberg zum Weißensee. Oben am Kreuzbergsattel kam ihm ein kleines Kind im Hemdchen entgegengelaufen und weinte bitterlich. Der Mann hob es auf seine Arme und sagte: „Armes Hascherle, was fehlt dir denn?“ Da jubelte das Kind und rief: „Oh, jetzt hab' ich auch einen Namen!“ und lief davon. Es war wohl ein ungetauftes Kind aus dem Wilden Heer.

In der Gegend von Gmünd wird erzählt: Zwei Handwerker gingen spät abends durch einen Wald und hörten „Die Klag“ gar jämmerlich rufen. Einer, der beherzt war, rief in den Wald hinein, was ihr fehle. Da antwortete es daraus, daß im nächsten Dorf ein Kind vom Teufel erdrückt werde. Schnell eilten die beiden nach dem Dorfe und erreichten das bewußte Haus, aus dessen oberem Fenster ein Lichtschein drang. Sie bestiegen eine Holzlage, auf deren Oberfläche eben Hanf zum Trocknen ausgebreitet lag, und ersahen durch das Fenster, wie der Teufel eben im Begriffe war, das Kind zu erdrosseln. Sie riefen dem Schwarzen einen frommen Spruch zu, er ließ das Kind fahren, bedeutete ihnen aber, daß sie es nur dem Hanfe zu verdanken hätten, worauf sie knieten, daß sie nicht zerrissen wurden, und fuhr mit entsetzlichem Gestank zur Hölle.

Quelle: Georg Graber, Sagen aus Kärnten, Graz 1941.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Harald Hartmann, Februar 2006.
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