Montaner Gschichtn
1.

"Und wenn sie heruntergekommen sind, dann sind wir immer hinzugelaufen um Gruß-Gott zu sagen. Und da konnten wir sie anschauen, ihre Gesten beobachten mit dem Handschuh und dem Beutelchen. Und da haben sie dann ein paar Süßigkeiten hervorgeholt. Das war für uns was wunderschönes, aber ohne Neid. Wenn sie gekommen sind, war das für uns im Dorf immer etwas schönes. Außerdem hatten sie in der Kirche ihren eigenen Kirchenstuhl. Der war zwar unter der Zeit offen, wenn sie aber da waren, haben sie immer mit dem Schlüssel aufgesperrt. Den Kirchenstuhl gibt es heute noch, aber er wird jetzt kaum mehr verwendet, selbst wenn sie da sind."

2. "Das waren die letzten Male, ich kann mich jetzt noch ganz gut daran erinnern, dass das geschehen ist, später war es auch damit vorbei. Es war ein ganz alter Brauch (die Armen zu beschenken) wenn jemand von den wohlhabenderen Dorfbewohnern, jenen, die etwas mehr (als andere) hatten, verstorben ist. Man hatte es ‚Leichengabe' genannt, ein Opfer, das den Verstorbenen zugute kam. Es wurde entweder Salz oder Maismehl ausgeteilt Das war beim Amplatz (-Geschäft), das kann ich mich noch gut erinnern [räuspert sich], da stand ein Sack mit Mehl und der alte Amplatz-Vater ist mit einer solchen Blechschaufel (dagestanden), wie man sie früher in den Tante-Emma-Läden hatte. Und die Kinder oder die armen Leuten sind hin, und ihnen hat er eine Schaufel (davon) in ein Säckchen hineingegeben, nicht? Und ich bin natürlich mit den anderen Kindern hinuntergelaufen und hatte kein Säckchen, wusste auch noch nichts Genaues von der Sache, hielt halt meine Schürze auf und lief damit nach Hause. Da hat der Vater geschimpft und gesagt, dass das für die armen Leute ist, nicht für uns, die wir selber Grund besitzen. Wir hatten selber Polenta, gel?"

3. "Also, - wenn man heute ins Dorf hinein geht, steht rechter Hand ein Kreuz unterhalb des Kindergartens. Das ist folgendermaßen entstanden: Es waren zwei Geschwister, aber an ihre Namen erinnere ich mich jetzt nicht mehr. Wenn ich mich nicht ganz täusche, war sie so alt wie meine Mutter, geboren um 1888. Genau weiß ich es aber nicht mehr. Es kommt mir vor als hätte sie Nandl geheißen. Nein, ich weiß es nicht mehr, kann es nicht mehr sagen. Jedenfalls hat das Geschwisterpaar in Montan im Dorf gewohnt, aber die Schwester hat nach Gschnon hinauf geheiratet, einen Perntner. Und der Tomeier - so soll er geheißen haben, soviel ich weiß - der ist ledig in Montan geblieben. Er ist später gestorben. Sie war eine sehr fromme Frau, und auch ihre Kinder, der Jörgl und die Rosale, die nur diese Geschichte erzählt hat, sind sehr fromm gewesen, vor allem der Jörgl. Und wie er gestorben ist, haben die Schwester und ihr Mann in ihrem Ehezimmer geschlafen. Ihr Mann hat nie etwas gehört, hat nichts gehört und nichts gesehen. Sie aber hat genau gehört wie einer über die [Erzählerin klopft fünfmal leicht auf den Tisch, imitiert die Schritte] Stiege heraufgekommen ist, die Tür geöffnet hat und hereingekommen und vor ihrem Bett gestanden ist. Es war finster, und sie hat es nicht gewagt etwas zu sagen, auch nicht zu ihrem Mann. So ist er dann wieder gegangen, aber es hat sich ein paar Mal wiederholt. Dann ist sie zum Pfarrer gegangen. Ich weiß nicht, ist es der Pfarrer Dosser gewesen, der könnte die Begebenheit vielleicht aufgeschrieben haben. Sie ist zum Pfarrer und hat ihm geklagt. Der Pfarrer aber sagte. ,Du musst keine Angst haben, du musst ihn anreden, wenn er noch einmal kommt!' Sie hat vielleicht schon - genau weiß ich es nicht - in ihm ihren Bruder erkannt Wahrscheinlich! Und dann, bald danach war es wieder so, hat sie ihn schon wieder gehört heraufkommen. Und er [der Pfarrer] hatte gesagt: ,Ruf ihn an, rede ihn an, ich werde inzwischen hier beten, [räuspert sich] beten, dass Du im Stande sein wirst, es zu tun.' Und dann ist der wieder gekommen, und da hat sie ihn angesprochen, hat zu ihm gesagt: ,Tomeler, was willst du denn?' Da hat eine ganz eine seltsame Stimme geantwortet: ,Ich habe in meinem Leben versprochen bei der Hilber Paint ein Kreuz aufzustellen' - den Grund dafür weiß ich aber nicht mehr - ,und hab es nie getan'. Und dafür müsse er jetzt leiden, habe keine Ruhe. Da sagte sie: ,Das mach schon ich'. Und da war der Spuk vorbei, und sie ist zum Pfarrer hinuntergegangen und hat ihn davon unterrichtet. Der war ihr dann behilflich, weil sie es finanziell wohl auch nicht vermochte. Da wird schon der Pfarrer geholfen haben. Und so wurde das Kreuz aufgestellt, und dann war Ruhe. Denn das hat mir ihre Tochter selbst erzählt."

4. "Ja, das war nach dem Krieg. Wie hat der eine nur geheißen? Der andere, der war der Fächer. Der ist in Auer unten unter den Zug gekommen. Und beim anderen weiß ich nicht, was für einen Tod der gehabt
hat. Die zwei waren Gefangenenaufseher, Unteroffiziere, und sie waren brutal mit den Gefangenen, hat man gesagt. [...] Ja, beim anderen weiß ich nicht, was er für eine Krankheit hatte. Man hat halt gesagt, das sei die Strafe gewesen. Ja, das sagen die Leute danach, weil sie wussten, wie sie mit ihren Leuten umgegangen waren."

Quelle: Haid Oliver, Montaner Sagen - Mataner Gschichtn. Erinnerungen aus dem Arkadien Tirols. In: Schützenkompanie Montan (Hg.): Montaner Dorfbuch. Montan 2003. S. 20 - 28