Das Loch in der Scheifelewand.

Ein Pfarrer in Tiers hatte einmal eine Häuserin, eine rechte Unkatl. Alles musste nach ihrem Kopf gehen. Die Frühmesse durfte an Sonn und Feiertagen erst um 10 Uhr gelesen werden, damit sie sich recht bequem ausschlafen konnte. Der Pfarrer aber musste seinen Magen den ganzen Vormittag hindurch vor Hunger knurren lassen und kam manchmal auch erst um ½ 12 Uhr zu seinem Frühstück. Nicht einmal das vergönnte ihm der Geizkragen von einer Häuserin. Sie stellte ihm meistens, zum Frühstück und Mittagmahl zugleich, nichts anderes als eine wässerige Brennsuppe vor, während sie selber sich mit Gebackenem und Gebratenem, mit Wein und Bier stopfte und mästete.

Dick war sie wie ein Streuschober und faul wie die Nacht. Sie selber ordnete überhaupt nur an, was zu geschehen hatte, arbeiten mussten Knecht und Magd. Der arme Pfarrer getraute sich kein Wort dagegen zu sagen. Die Dorfleute striegelte und riegelte sie wie besessen und erpresste von ihnen Steuern und Abgaben.

Trug eine Bäuerin oder eine Dirne sonntags einmal zufällig ein hübsches, buntseidenes Halstüchel, das der Häuserin gefiel, so riss sie es ihr auf dem Kirchgang oder in der Kirche selber vor allen Leuten vom Leibe, schimpfte von "Hoffart" und "Eitelkeit" und band es am nächsten Montag sich selber um.

Eigentlich war sie die Pfarrerin, der geistliche Herr war der Niemand, der war nur ihr Gesellpriester, dem ging's übler als dem allerärmsten Kooperator im Land.

Wie sie aber einmal von einem notigen Bäuerle zu dem Korb von Eiern, die er gerade in den Widum brachte, noch ein halbes Dutzend Hühner verlangte, drei Kübel mit Schmalz und einen Sack weizenes Mehl, da stieg dem armen Schlucker, der selber nichts zu beißen und zu nagen hatte, die Galle.

"Hol dich der Teufel", sagte er und wandte sich zur Türe.

Dieser Wunsch kam ihm dabei so aus tiefstem Herzensgrund wie selten einmal früher ein Gebet.

Wirklich saust es draußen in der Luft wie von Adlersflügeln und der leibhaftige Satan, mit glühenden Augen und über und über mit schwarzen Zotteln bedeckt wie ein Geißbock, flattert in den Widum, packt die Häuserin beim Kragen und fliegt mit ihr gegen die Scheifelewand zu. Dort wollte er mit ihr durch den Felsen hindurch. Doch der Berg war an der Stelle viel zu dick und zu breit. Der Teufel wühlte wohl eine großmächtige Höhlung in den Berg, doch musste er wieder umkehren.

Jetzt wollte der schwarze Gangger mit seinem Höllenbraten über die Wand hinwegfliegen, aber die dicke Häuserin war so schwer, dass er mit ihr unmöglich so hoch steigen konnte.

So versuchte er es denn noch einmal, durch die Wand zu stoßen - dieses Mal ein Stück weiter oben - und es gelang.

Heute noch sieht man oberhalb der Scheifelewand das große Loch im Felsen, durch das das böse Weib zur ewigen Unruh geflogen ist. Die Tierser hätten das Loch später gerne noch vermauert, damit die Bißgurn nicht wiederkehre, sie kamen aber dann zur Meinung, dass der Teufel diesen Braten gewiss nimmer auslassen wird.

"Hol dich der Teufel", sagt zwar heute noch so mancher in Tiers und anderswo, doch der Teufel ist ungefällig geworden.

Quelle: Laurins Rosengarten, Sagen aus den Dolomiten, Franz S. Weber, Bozen 1914, S. 77-79.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bernd Wagener, März 2005.