DER LAUTERFRESSER UND DIE GRÖDNER BÄRENJÄGER

Der gefürchtete Zaubermeister Lauterfresser aus der Brixner Gegend konnte sich beliebig in ein Tier verwandeln und stellte in solchem Zustande oft den größten Unfug an.

Einmal verwandelte er sich in einen großen Bären und begab sich auf die Raschötz-Alm, wo er eine Anzahl Rinder riß und auffraß. Das aber wollten die Grödner mitnichten länger zulassen, und so haben sich die Jäger aus dem ganzen Tal zusammengetan und sind ausgegangen, um den Bären zu erlegen. Wie der Bär dies aber merkte, nahm er wieder seine menschliche Gestalt an und begab sich nach St. Ulrich hinab, wo er sich zu einem Trunk ins Wirtshaus setzte.

Nachdem die Grödner den gefürchteten Bären den ganzen Tag lang nicht zu Gesicht bekommen hatten, blieb ihnen schließlich nichts anderes übrig, als nur unverrichteter Dinge wieder heimzukehren und für den nächsten Tag eine noch größere Treibjagd anzusetzen. Ehe sie aber heimzu gingen, gingen sie in St. Ulrich noch in ein Gasthaus und bestellten sich dort eine üppige Knödelmahlzeit - und zwar in eben jenem Gasthaus, wo schon der Lauterfresser saß und auf sie wartete.

Wie nun die Knödel hereinkommen, laden sie den Lauterfresser, den sie natürlich nicht kannten, ein, mit ihnen mitzuhalten, und der setzt sich lächelnd hinzu und ißt wacker mit. Und sie diskurrieren und erzählen ununterbrochen von dem Bären, und wie er ihnen zwar diesmal noch ausgekommen sei, sie ihn aber morgen gewiß fangen oder schießen würden. Einige wollten ihn gar auch selber gesehen haben und erzählten haarsträubende Geschichten davon.

Der Lauterfresser horchte ihren so gefährlichen Bärenabenteuern vergnügt zu, lachte sich dabei den Buckel voll an, wünschte ihnen endlich für den nächsten Tag viel Glück auf der Bärenjagd und ging zur Tür hinaus. In dem kommt der Pfarrer herein und sagt: "Mannder, wißt ihr, daß euer Bär mit euch Knödel gessen hat?" - "Kruzitürken!" schrien sie und wollten dem Lauterfresser nach. Aber dieser war bei "Laub und Staub" verschwunden, und sie hatten zum Schaden auch noch den Spott.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 180 (verändert)