Die Kaser-Liechte
Die Wieserbauern in Ratschings waren vor Zeiten in ständigem Hader unter sich. Schuld daran war eigentlich nur einer von ihnen. Dafür mußte er nach seinem Ableben als Almgeist büßen.
Dieser Kaser-Liechten-Geist zeigte sich in verschiedenen Formen. Man hörte ihn als Schwein grunzen, er wurde aber auch als Wurm gesehen, der die Kühe saugte. Als unsichtbares Gespenst vertrug er eine Sennin dreimal samt ihrer Liegerstatt ins Tal bis zur Wieser Brugge.
Einem Schafhirten zeigte er sich einmal riesengroß wie eine Feichte, ein andermal als ein kleines bartiges Manndl. Immer aber hatte er denselben Spruch im Munde:
"I woaß in Kaser Wald
dreimal jung und dreimal alt".
Eines Jahres hatten sie eine besonders furchtlose Sennin auf der Liechte. Zu dieser kam der Geist in die Kammer. Sie tat nicht erschrocken, stellte ihm im Gegenteil die Frage, was sie für seine baldige Erlösung tun könne.
Da richtete er die Bitte an sie, sie möchte dreimal bei Wasser und
Brot nach Laning (Lana) wallfahren. Als die Sennin von ihrer dritten Keise
ins Etschland heimkehrte, sah sie den Geist in Gestalt einer weißen
Taube von der Käser Liechte wegfliegen. Ihr Opfer hatte sich gelohnt.
Quelle: Fink, Hans, Eisacktaler Sagen, Bräuche und Ausdrücke. Schlern-Schrift Nr. 164, Innsbruck 1957, S. 53