DAS HEXENBÜCHLEIN

Ein Bauer besaß ein Hexenbüchlein. Einmal ging der Bauer in die Kirche; auf dem Wege dahin fiel ihm ein, er habe vergessen, sein Büchlein zu verstecken. Er kehrte deshalb um. Kaum trat er in sein Haus, so fand er auch schon, daß seine Besorgnis nicht ohne Grund war. Denn sein Sohn las eifrig im Buche und merkte nicht, daß das ganze Haus schon voller Geister war.

Der Bauer drängte nun durch die Hauslaube, die mit Geistern gefüllt war, in die Stube hinein, riß dem Sohn erzürnt das Büchlein aus der Hand und zeigte schweigend auf die unheimliche Nachbarschaft. Sie sehen und blaß werden wie die Mauer, einen lauten Schrei ausstoßen und davoneilen wollen, war beim Sohne eins. Der Vater drängte ihn aber auf die Bank nieder und verbot ihm zu gehen.

Nun hielt der Sohn Augen und Ohren zu während der Bauer mit den Geistern Abrechnung hielt. Der Bauer hatte früher mit den bösen Geistern einen Pakt geschlossen, der darin bestand, sie sollten ihm ein Hexenbüchlein verschaffen, er verschreibe ihnen dafür die Seele desjenigen, der außer ihm in dem Büchlein lesen werde. jedoch nur erst dann gehöre ihnen die Seele, wenn er zwei Stücke, die sie ihm aufgeben, und sie eines, welches er ihnen aufgibt, nicht zu verrichten imstande seien. Die Geister umstanden den Bauer so eng, daß ihm fürwahr ganz angst und bange wurde und er nicht anders konnte als sich in den heiklen Handel einlassen. Kaum gab der Bauer sein Jawort, so rückten sie auch schon sofort mit den Stücklein heraus. Das erste war: Er müsse in einer Stunde rückwärts lesen, was der Sohn in drei Stunden vorwärts gelesen hatte. Doch damit sind sie beim Bauern nicht zum Rechten gekommen, er konnte lesen wie ein Advokat. Er war schon in einer Stunde fertig zum großen Ärger der Geister.

Ganz anders aber ging es mit dem zweiten Stücklein; das war für ihn ein saures Stück Arbeit, denn er sollte auf einem Brett über den Eisack setzen, ohne einen Schrei auszustoßen. Was sollte er tun? Er mußte wohl daran. Zuerst befahl er den Geistern aus der Stube zu weichen, damit sein Sohn nicht vor Schrecken vergehe. Dann nahm er ein dickes, schweres Brett, ging zum Eisack hinunter, setzte sich darauf und fing seine gefahrvolle Schiffahrt an. Hände und Füße gebrauchte er als Ruder. Mit harter Mühe, ohne einen Notschrei zu tun, erreichte er das jenseitige Ufer.

Nun kam die Reihe an ihn, den Geistern ein Stücklein aufzugeben. Sie müssen, so lautete es, ein Star Mohnsamen, den er in der Stube aussäe, bis auf das letzte Körnlein zusammenklauben. Er ging nun um die Mohnkörnlein und schüttete sie in der Stube aus; doch nahm er zuvor ein paar Körnlein und steckte sie hinter die Nägel, und ein paar andere legte er in das Weihbrunnkrüglein. In wenigen Augenblicken hatten sie die Mohnkörnlein zusammengeklaubt; auch jene hinter seinen Nägeln fanden sie, aber die aus dem Weihbrunnengefäß konnten sie nicht herausholen. So mußten sie mit Schande abziehen, und der Sohn war gerettet. (Saubach.)

Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 811, S. 473