9. Der Wasserverkäufer
Auf einem Gut am Fuße des Spessarts war ein Bauer verstorben, dessen
Söhne dem Hof den Rücken gekehrt und in der Stadt ihr Auskommen
gefunden hatte. So fand sich keiner, der hätte weiter dort wirtschaften
mögen und das Gut ward an einen wohlhabenden Handelsmann aus dem
Orient gegeben, der die größte Menge Geldes geboten. Dieser
setzte die Bewohner des Tals schon bald in großes Erstaunen, wie
er schon nach wenigen Monden den ärmlichen Hof in ein prunkvolles
Herrenhaus umwandelte. Die Wände glitzerten von Marmor, edle Steine
und Mosaike umrankten die kunstvoll gefertigten Fenster, ein eisernes
Tor ward vom besten Schmied des Landes gefertigt, so ein Stück hatte
noch keiner gesehen und im Hofe wuchsen Palmen neben einem plätschernden
Brunnen, um den gezähmte Raubkatzen strichen. Bei all dem war der
neue Herr des Hauses freundlich und umgänglich, kaufte gern in den
kleinen Läden im Nachbarort und ließ die Leute in seinem Anwesen
ein- und ausgehen, als ob für ihn ein Fremder und ein Gast ein und
dasselbe seien.
Ein Ratsherr aus dem Dorfe frug schließlich den Handelsmann, wie
er denn zu seinem Reichtum gekommen und womit er Gewerbe treibe. Dieser
gab ihm zur Antwort, ein Wasserverkäufer sei er, wie schon sein Vater,
sein Großvater und alle seine Vorfahren, die ihm bekannt wären.
Im fernen Afrika und im Perserlande habe er Wasser feilgeboten und damit
die Kehlen der durstigen Reisen erfrischt. Darob war die Verwunderung
groß, denn, so fragten die Leute, wie könne denn einer allein
mit dem kühlen Trank sein Vermögen machen, auch wenn es, wie
im Orient, rarer sei als im regenreichen Spessartwalde.
Das Tränklein sei, so entgegnete der Fremde, auch im Orient wohlfeil
gewesen, denn allerorten habe es Wasserstellen und der Zisternen genug
selbst in der weitesten Ödnis gegeben. Er habe indes nach etlichen
Jahren des einfachen Lebens nicht nur mit dem Nass, sondern auch mit Kamelen
und Viehzeug begonnen zu handeln. So seien der Wasserstellen nicht weniger
geworden, aber das Wasser habe nun wohl auch den Tieren als Tränke
gedienet und nicht wenige warden verschmutzt, so dass die Reisenden das
Wasser verschmäht, wollten sie nicht in Siechtum verfallen. Also
sei reines Wasser ein teures Gut geworden, mit dem er und seine Familie
viel Gold und Geld angehäufet. Wenn aber ein Wasser aus dem Lande
der Käufer gekommen, hätten sie schon dessentwegen ihm misstrauet
und es verschmäht. So galt bald nur noch als ein edles Nass, was
über viele Tagesreisen herangebracht ward.
"Höret den weisen Mann", sprachen da so manche Leute, "warum
sollten wir da Wasser verschenken, wenn so grosser Wert aus ihm ersprießt?"
Und sie trieben ihr Viehzeug in die Quellen und Bäche und überließen
ihre Fluren der Kunst der Alchemisten, bis der letzte Brunnen verdorben.
Alsdann leiteten sie von fern aus dem Bachgau und dem Alzenauer Land das
Wasser in die Dörfer, das war so hart und schlecht, dass es nur mit
großer Mühsal zum Trunke bereitet werden konnte und war, auch
wenn es teuer bezahlt werden mußte, doch nur ein schändliches
Gesöff. Wohl aber waren die Dorfoberen nun der lästigen Sorge
um die Brunnen enthoben, die Bäuerlein konnten auf den Feldern treiben,
was ihnen gutdünkte, und das Geld floß reichlich in die Taschen
der Wassermeister.
Anderorten führten die Dorfoberen die edleren Quellen des Spessartwaldes
durch die Rohre der Stadt Frankfurt, und man sann, einen großen
Speicher im tiefen Wald zu errichten, dessen Wasser man für teures
Geld in die großen Städte des Frankenlandes zu verkaufen trachtete.
Doch weiteres erzählte sodann der Fremde aus dem Morgenland: Märchenhafte
Schätze hätten seine Karawanen bis aus dem fernen Chinesenlande
herangeschafft: feinstes Porzellan sei die Zierde der Zelte geworden,
in ihnen duftiger Tee aus Indien; kunstvoll gewebte Teppiche aus dem Perserlande
hätten den Boden bedeckt. Da aber die Taglöhner aus den fernen
Landen von unübertrefflicher Bescheidenheit wären, so trügen
die Kamele die Gürtel des Maghreb zum fernen Hispanien, nur um die
Ösen zu stanzen, und wieder her; ein Kefir käme aus dem fernen
Kaukasus, der Topf, worin er bereitet, aus dem kühlen Lappenland.
So die Bauern des Alpenlandes für ihre Viehherden und ihren Rahm
von den Landesfü-sten extra belohnet, bedienten sie sich nun der
Fleischtöpfe Ägyptens und strichen gleichermaßen die Subsidien
ein. Köstlicher schwarzer Reis käme aus dem Indianerland, Fisch
von den Quellen des Nils in Afrika, Nüsse von der Elfenbeinküste,
Pfeffer, Zimt und Saffaran von den Molukkeninseln, wo dergleichen überhaupt
nichts wert, hier aber mit Gold aufgewogen würde.Und all dies hätten
seine Karawanen bewirket, für die allerorten Wege eingerichtet, an
deren Umschlagplätzen die ganze Welt sich am Reichtum des Orient
erbauen könnte.
Und die Ratsherren der Dörfer beschlossen reihum, Wege zu bauen bis
in das Morgenland. Bald durchzogen etlich neue Straßen in allen
Himmelsrichtungen die Wälder des Spessart, große Wagen bevölkerten
die einstmals verträumten Dörfer, das grobe Holz der Spessartforsten
blieb auf den Haufen sitzen, statt der faden Äpfel und fauligen Pflaumen
bedeckten Datteln, Feigen und Mangofrüchte die Ladentische und ließen
die Körbe auf den Märkten überquellen. Ein jeder sah um
sich herum den Überfluss des Orients und gab gar vieles auf sich,
dem armseligen Treiben der Dorfbauern ein Ende geboten zu haben.
Nun aber war es an einem unschuldigen Knäblein, den Herrn aus dem
Morgenlande zu fragen, warum er wohl, wenn sein Heimatland von Gold und
Elfenbein geschaffen, dieses verlassen und nicht mehr unter den seinen
verweilen wollte.
Da senkte der Fremde den Blick, schwieg eine geraume Weile und sprach
dann, wo er einst unter Palmen gelegen, wäre heute wüstes Land.
Die Brunnen seien versiegt, die Häuser verfallen und die Wege vom
Sand bedeckt. Er aber zöge es nicht vor, auf hartem Fels sein Lager
einzunehmen und dasselbe mit Skorpionen und Schlangen zu teilen. Dann
erhob er sich und begab sich in seine Gemächer.
Hierauf schwieg so mancher Dorfrat, den feingekleideten Bürgern wollten
die süßen Früchte nicht mehr so recht schmecken und ihre
Blicke mochten an den Tischen aus den edlen Hölzern Amazoniens keinen
Gefallen mehr finden.
Darob aber gerieten die Alten des Dorfes, dem der Knabe entstammte, in
großen Zorn. Heftig gescholten ward er, über das Knie gelegt
und ordentlich durchgebläut, sodann angewiesen, das Haus seiner Eltern
aufzusuchen und dem des Handelsmanns fortan fern zu bleiben. Einige aber
liefen dem Muselmann hinterdrein, mischten in seinen Saft Branntwein,
um ihn fröhlich zu stimmen, und ließen nicht eher von ihm ab,
bis er sich wieder zu den Gästen begab, bleich und schwankend zwar,
aber ohne dunkle Gedanken, die ihnen das Gemüt hätten bewegen
können.
Noch am Tage darauf traf eine Karawane ein, die brachte Fichtenhölzer
aus dem fernen Sibirien, Kartoffeln aus Ägypten, Wasser von den Felsen
der Insel Madagaskar, Tuche aus Abessinien und Leder vom sagenhaften Indusland.
Und die Hölzer wurden sogleich weiter zum Entrinden nach Siebenbürgen
verschickt, die Kartoffeln zum Schälen nach Galizien, das Tuch verschiffte
man zum Verschneiden auf die philippinischen Inseln, das Leder ward in
den Bergen des Atlas zu Bällen vernähet. Das Wasser von der
Madagasseninsel ward indessen in kristallene Flaschen gefüllt und
teurer als Wein verkaufet. In die Behälter des kostbaren Guts füllte
man indessen feinen Sand aus den Gruben der Spessarttäler und verbrachte
ihn in die große Sahara, wo für den Obersten der Karawansereien
Mauerwerk für ein großes Bad erstellet werden sollte. Und wer
das große Werk verrichtet sah, pries den Morgenländer ob seiner
großen Weisheit, die dem Lande so unermeßlichen Reichtum bescheret
und bat Gott, dass er ihm noch ein langes Leben bescheren möge.
* * *
Solcherlei Werk sei es, das Menschen unsterblich mache, bekräftigte
Knobel dem Hoimann. Sodann schickte er sich an, den Hoimann zu den Stätten
zu führen, wo er segensreich gewirkt. Von den tiefen Lohrer Forsten
bis weit auf die flachen Ländereien um die Dörfer vor Karlstadt
führte er den Geistermann, und kaum ein Sträßchen, kaum
eine weite Flur ließ er aus, ohne voller Stolz zu berichten, wie
einem starrsinnigen Bäuerlein ein Obstgärtlein entwunden, mit
den Dorfräten hart gefeilscht und den Schreibern auf den Ämtern
in den Ars getreten.
Im Abendlichte zeigte sich nun die Landschaft in ihrem schönsten
Glanz. Im Süden gab der klare Himmel den Blick fast bis nach Würzburg
frei und im Osten erblickte man die Weingärten südlich von Karlstadt.
Auch hier wies nun der Mann aus Bamberg dem alten Sauhirten, was alles
geschaffen, wobei er behilflich gewesen: Da seien ein paar alte Grabhügel
einem Bauern im Weg gewesen, dem er bescheinigt, dass sie nur Dreckhaufen.
Ein Kapellchen hätten die Leut nicht einem Wege preisgeben wollen,
bevor er festgestellt, dass es vom Einsturze bedroht und so hätten
dieselben nicht nur den Weg, sondern auch noch eine gar weiträumige
Bethalle bekommen. Den Kalk, der die Karlstädter reich gemacht, musst
er ein paar wilden Rotzbuben abtrotzen, die ein Hänglein mit Unkraut
und Gestrüpp als bedeutsamer erachtet als das Werk einer ganzen Stadt.
Und als hierdurch ein Schnellweg wohl vom größten Hafen des
Landes bis in das Alpenland hätte geführt werden sollen, da
musst er um jeden Zollbreit Bodens kämpfen, der doch nur kahl, trocken
und voller Dornen war. Damit der sich auch von diesem seinem Werke ein
Bild machen könnte, winkte er dem Hoimann, ihm zu folgen.
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Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Nr. 9.