2. Der Schwur

Zwischen Sendelbach und Steinfeld war seit jeher ein Stück Wald , in dem keiner so recht wußte, was den Sendelbachern und was den Steinfeldern war. Als den Steinfeldern nun einmal reicher Kindersegen beschert war, und viele Mäuler gestopft werden mußten, da trieben sie ihr Viehzeug in einen Streifen Wald, der vorher keinem gut genug gewesen. Sogleich kamen da aber die Sendelbacher mit den Feldgeschworenen gelaufen und wollten das Waldstück haben, weil es einstmals auch Sendelbacher Schlag geheißen. Darum kam es zu einem großen Streit, und keiner konnte sich mehr im anderen Dorf oder sogar auf dem Markt sehen lassen, ohne eine gehörige Tracht Prügel zu beziehen. Schließlich kam die Sache vor den fürstlichen Kanzler in Würzburg und der bestellte die Streithähne zu dem Waldstück, auf dass mit einem feierlichen Schwur die Besitzverhältnisse klargestellt und dem Streit ein für allemal ein Ende gesetzt würde.

Nun hätten von den Steinfeldern etliche schwören mögen, dass das Landstück zu ihrem Dorfe gehörte, doch hätte mans keinem geglaubt. So gingen einige Bauern mit einem abgebrochenen Schöpflöffel, wozu man in dieser Gegend Schöpfer sagt, und einem Sacke voll Erde zu ihm, dem Sauhirten des Nachbardorfs Hausen, der vor Jahren auch in Steinfeld die Schweine gehütet, und sagten ihm, er solle seine Stiefel ausziehen und die Mütze abnehmen. In die Stiefel füllten sie ihm die Erde und in die Mütze steckten sie ihm den Schöpflöffel.

Dann fragten sie ihn, woher die Erde käme. "Aus Steinfeld", meinte er einfältig, und auf die Frage, wo er denn nun stände, "ei, gewißlich auf Steinfelder Boden." Das, meinten die Bauern, sei doch so wahr wie das, unter seiner Mütze trage. Und der arme Mann sagte brav, "so wahr der Schöpfer über mir ist." Dann, so sagten die Bauern, könnte er dies auch vor den Würzburgern mit einem feierlichen Eid beschwören, und hätte nichts unrechtes gesagt, nahmen ihn, ob er wollte oder nicht, mit, und der Hirt schwor, ohne sich viel dabei zu denken, dass er auf Steinfelder Boden stehe, so wahr der Schöpfer über ihm sei.

So war der Streit aus und ein Grenzstein wurde hingesetzt, der steht bis auf den heutigen Tag.

Als aber des Sauhirten letztes Stündlein geschlagen hatte und er auf dem Sterbebett lag, da stand er unversehens neben sich und sah sich selbst mit offenem Munde daliegen. "Hoi,", rief er, so wie er immer die Schweine gerufen, ob denn keiner höre. Schließlich kamen einige Männer herein, sahen aber nur auf das Totenbett und sagten, der ist ja schon tot, geben wir ihn in den Sarg, den alten Toren. Mit bösen Ahnungen lief der Hirt hinter den Totengräbern her, aber keiner schien ihn zu sehen . "Hoi," rief er wieder, aber die Leute drehten sich nur um, bekreuzigten sich und liefen weiter. So ließen sie den Sarg unter die Erde und der Sauhirt saß daneben und wusste nicht, wie ihm geschah. Keiner von den Leuten mochte ihn hören und sehen, so er auch versuchte, sie zu rufen und zu stoßen, aber nichts half. Und eines Tages kam er an ein Wasser und wollte sein Spiegelbild sehen, aber da war nichts. Nun merkte er, was ihm geschehen war.

Indessen meinte er doch, mit seinem Schwur nichts Unrechtes getan zu haben und so begab er sich zu dem Grenzstein, an dem er einst geschworen und wartete, dass die Bauern, die ihm das Schwören aufgetragen, ihm ewige Ruhe verschafften oder aber, dass sie nun wenigstens auch mit ihm zur mitternächtlicher Stunde umgehen müßten. So lang er aber wartete, kam doch keiner, und er mußte alleine herumgeistern. Wenn er einen sah, rief er "Hoi, hoi", und warf ihm Steinchen nach, die Angerufenen aber gingen dann nur noch schneller und keiner drehte sich nach ihm um. Einem sprang er gar auf den Rücken, dass er ihn mitnähme, aber der zitterte vor Furcht, rannte wie ein Irrsinniger und als sie im Dorf waren, war sein Haar weiß wie Schnee.

Im Dorfe erzählte man sodann, dass der Sauhirt umginge und nächtlich bei dem Grenzstein , wo er falsch geschworen, die Leute wie die Sauen mit "Hoi Hoi" anrief. Deshalb nannte man ihn den Hoimann. Und die Bewohner der Dörfer ringsum scheuten sich seitdem, abends und nachts des Wegs zwischen Steinfeld, Pflochsbach und Sendelbach zu gehen. Die Bauern aber, die durch den Handel ein treffliches Stück Land dazugewonnen hatten, wurden wohlhabend und angesehen, hatten einen Ehrenplatz im Dorfkirchlein und so mancher saß im Rat des Dorfes oder wurde gar zum Schulzen bestimmt. Falsche Schwüre wurden daraufhin noch so manche getan, auch ohne Schöpfer im Hut. Mit seinem Spuk blieb der Hirte indessen allein, und die Kinder der Dörfer spielten den Hoimann zuweilen nach, um ihre Kameraden zu erschrecken oder sie trugen bei Fastnacht Gewänder wie er und steckten sich einen Schöpfer unter die Mütze.

* * *

Dr.Knobel beschlich ein ungutes Gefühl im Magen. Da er nun wohl sein Gesell sei, sei er am Ende nun auch verwunschen, fragte er irritiert. So aber der Hoimann hierauf die Schultern hob und dieses nicht zu beantworten wußte, bedrängte er ihn weiter, wie er in diese Lage hätte kommen können und ob es denn ein Zurück gäbe. Das läge, so entgenete der Hoimann, in der Macht des Himmels. Wohl könnte er das Reich der Lebenden unbemerkt verlassen haben, doch habe er schon etliche angetroffen, die man aus ihrer Umgebung genommen, ohne dass sie das zeitliche gesegnet. Da, wo er ihn das erstemal angetroffen, seien mehrere Knäblein verschwunden, die nie mehr zurückgekehrt und auch nicht tot aufgefunden. Einem von ihnen sei er begegnet, doch wär es zu tumb gewesen, als das es ihm eine Hülf hätt sein können. Hätte der Doktor sich ein Unrecht zuschulden kommen lassen, werde er dieses wohl nun so verbüßen. Und wenn er auf Erlösung hoffe, müßt er vielleicht ein unschuldig Kindlein antreffen, das das rechte Wort sagte oder er müßte dasselbe anhalten, sein Unrecht ungeschehen zu machen. Der Unschuldigen gäbe es aber nicht mehr viele. Wenn er indes beim Gerichte ein- und ausginge, könnte er bei den Schreibern nach einem Mägdlein suchen, das unschuldig zu Tode gekommen, das könnte ihm behilflich sein, wenn von ihr durch ein irdisch Gericht die Schuld genommen würde.

Knobel fragte den Hoimann ob ihm ein solcher Fall geläufig wäre, und dieser hub an zu erzählen:

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Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Nr. 2