3. Das verwunschene Knäblein

Im Elsavatal wohnte einst eine edle Frau, die hatte ein Knäblein, das sie über alle Maßen liebte und dem sie jede Art von Pflege angedeihen ließ. Tag und mußten es zwei Ammen es unter ihre Fittiche nehmen, es bei Laune halten und peinlich darauf achten, dass ihm kein Leids geschah. Da aber keine von ihnen es der Edelfrau recht machen konnte, jagte sie beide hinaus und auch ihrer Entlohnung gingen sie verlustig, so dass sie sich bei den Bauern auf dem Land als Mägde verdingen mußten.

Da befiel ein heftiges Fieber das Kind, es ward von Tag zu Tag schwächer und kein Kräutlein und kein Arzt konnten ihm helfen, so dass die Frau sein letztes Stündlein kommen sah. Und weil auch kein Gebet ihm Besserung verschaffen konnte, so kam sie zu dem Schluß, dass es ein böser Zauber wäre, den die Ammen auf das Kindlein gelegt, weil sie ihnen die Tür gewiesen. Beide brachte sie vor das Gericht und beklagte sie der Zauberei, derentwegen sie auf dem Scheiterhaufen landen müßten, wenn das Kindlein stürbe. Der Richter besah sich den Fall und er entschied, dass wohl die Zauberei erwiesen, doch könne jede von ihnen ihren Kopf und ihre Seele retten, wenn es ihr gelänge, den Knaben wieder gesunden zu lassen, denn so zeige sich, dass sie noch etwas Gutes in ihrem Herzen beherbergte und sich von den Mächten des Bösen abgewandt. Und so hub die eine der beiden Ammen an, den Knaben mit Kräutlein zu bestreichen, allerlei Sprüche dazu zu mur-meln und nächtlich sah man sie im Mondeslicht seltsame Verrichtungen ausführen; doch alles half nichts und das Knäblein wurde nur immer noch schwächer und gab keinen Laut mehr von sich.

Da kam die andere, die das Knäblein immer besonders geliebt und mit ihm gescherzet, zu ihm, bestrich seine Wangen mit Weihwasser, fiel vor einem Bild der heiligen Mutter im Gerichtssaale auf die Knie und erflehte sich Rettung für das arme Kind. Und siehe da, das Knäblein schlug die Augen auf, lächelte seine geliebte Gespielin an und streckte gar sein Händchen nach ihm aus. Von Stund an ging es dem Kindlein besser und schon am nächsten Tag nahm es wieder Speisen zu sich und seine Bäckchen waren wieder rot geworden.

Der Richter jedoch sprach, nun sei fürwahr erwiesen, wer das Kind verhext, denn nur, wer den Zauber ausgesprochen, könne ihn auch wieder von ihm nehmen. Und er brach den Stab über sie, ließ den Scheiterhaufen anrichten und rief das ganze Dorf zur Hinrichtung der Hexe zusammen. Laut schrie die Kindsfrau, dass sie doch immer nur das Beste für das Kind getan und niemals ein Zauber oder auch nur ein böses Wort über ihre Lippen gekommen, als aber die Flammen an ihr hochloderten, da verwünschte sie ihr Schicksal, fluchte ihrer Dienstherrin und schließlich schalt sie gar mit ihrem Herrgott, weil er ihre Hingabe so schmählich belohnt. Da bekreuzigten sich die Leute und priesen den Richter, der so ein weises Urteil gesprochen, denn niemand habe der Amme angesehen, dass sie eine Hexe wäre, nur der Richter hätte es erkannt und mit ihren Verwünschungen habe sie sich dann allen offenbaret.

Die andere Amme fand jedoch wieder Gnade in den Augen ihrer Herrin, sie durfte wieder auf das Schloß zurückkehren und verlebte dort mit Frau und Knäblein noch viele glückliche Jahre, bevor sie in hohem Alter verstarb und neben dem Grab der Edelleute bestattet ward. Was von der verbrannten Hexe übrigblieb, warf man auf den Schindanger und aus ihm wuchs ein Pflaumenbäumlein, das wohl reichlich Früchte trug, von denen jedoch niemand essen wollte.

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Dies Geschichtlein verstörte den Herrn vom Gericht gar sehr. Wohl, so sprach er, könnte man das Mägdlein in den alten Akten ausfindig machen. Doch sei es nicht leicht, dasselbe dann noch aufzufinden, denn die Äcker seien umverteilet und gar viele um-gepflüget worden, so dass alte Grabstätten nicht mehr aufzuspüren. Wenn aber auch dieselbe entdecket, so müßt man einen neuen Prozeß anberaumen, und wer sollt da noch den Zeugen machen? Sodann bestünde keine Möglichkeit, das Knäblein zu prüfen oder zu obduzieren. Alsdann müßt ein Richter gefunden werden, der nach dem einstmals gültigen Recht noch könnt ein Urteil sprechen. Indes gab er sich befremdet, dass die Maid nicht hätte die himmlischen Richter in Anspruch genommen, die ein solches Unrecht doch sofort erkannt und korrigiert. Der Hoimann jedoch sprach, mit den Mächten des Himmels zu rechten, das ginge mit Verlaub selten auf. Und er berichtete von einer weiteren Begebenheit.

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Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Nr. 3