5. Die Müllerstochter von Weibersbrunn
In einer alten Mühle zwischen den Dörflein Rothenbuch und Weibersbrunn
lebte einst eine gar ahnsehnliche Müllerstochter, die war es leid,
tagaus, tagein die Säcke zu schleppen, die Esel zu treiben und den
groben Bauersleuten für ihr bißchen schlechtes Korn um den
Bart zu gehen. Da hörte sie so manches Märlein, dass ein Königssohn
umhergezogen, eine Maid, wie sie es war angetroffen, und ob ihrer Anmut
oder, weil sie ihn aus großen Nöten geholfen, sie gefreit und
zu seiner Prinzessin gemacht. Und als gar einmal ein edler Prinz durch
das Tal zum Jagen gezogen, da entbrannte die Müllerstochter in Sehnsucht
nach dem edlen Jüngling, mehr noch aber nach dem unbeschwerten und
prunkvollen Leben bei Hofe.
Tag für Tag suchte sie nun nach Beeren im Walde, um einen verirrten
Prinzen aus der Wildnis den Weg zu weisen, doch nur nur Gesindel und bucklige
Kräuterweiblein kreuzten ihre Wege. Einen jeden Abend verbrachte
sie am Weiher, ob denn der Prinz nicht ein Bad nähme und dabei unversehens
seines Rocks beraubt würde, worauf sie ihn nach Müllersart kleiden
und an ihren Herd führen könnte, doch in dem Wasser plätscherten
nur die Fischlein und wer kam, war der Esel, um seinen Durst zu stillen.
Als dann wieder einmal der Jagdtroß des Prinzen die Dörfer
durchzog, warf sie sich schließlich auf die Erde, dass der Prinz
ihre Sinne schwinden sähe und sie auf den Händen in sein Schloß
trüge, doch nur ein Jäger beugte sich über sie, hielt ihr
Riechsalz unter die Nase und brachte sie mit einigen Klapsen wieder auf
die Beine, ohne dass der Prinz Notiz nahm. Ja, selbst als sie im Walde
edle Steine fand und sie auf das Schloss brachte, zeigte sich der Kämmerer
wohl großherzig und ließ etliche Dukaten springen, zu dem
jungen Herrn ließ er sie hingegen nicht vor.
Vor dem Schlosse sprach sie nun ein seltsamer Fremder an, der schon viele
Länder bereist, und dem anscheindend ihr Verlangen nicht entgangen
war. Ein Prinz wie der auf dem Schlosse, so gab er ihr zum Trost, werde
niemals eine Bürgerstochter an den Traualtar führen, geschweige
denn eine Müllerin. Dies werde wohl in vielen Märlein so erzählet,
doch würden die Edelleute selbst deren etliche unter das ärmlich
Volk bringen, denn dieses darbe gar sehr und würde gern aufrührerisch
werden, wenn nicht die Hoffnung bestünde, dass ein Töchterlein
durch die Huld eines Prinzen auf den Königsthron gelänge und
dort Vater und Mutter aller Sorgen befreite wie auch huldvoll über
die Untertanen waltete. So halte das Volk still und ertrüge mit Gleichmut
das üppige Treiben der fürstlichen Geschlechter. Wenn sie zu
Gut und Geld kommen wollte, müsse sie in die Fremde über das
große Wasser, denn dorten wäre es schon zuweilen vorgekommen,
dass ein Tellerwäscher nach so manchen Jahren und Abenteuern tausend
mal tausend Dukaten sein eigen nannte, weil er den rechten Weg zum Reichtum
durch Fleiß und kluge Gedanken gefunden.
Diesen weisen Rat beherzigte die Müllerstochter, nahm Abschied von
Vater und Mutter im Mühlengrund und begab sich mit den Dukaten, die
von ihrem Edelsteinfund noch verblieben, auf ein stattliches Schiff, das
sogleich in Richtung neue Welt die Segel setzte. Leicht fiel es ihr dort,
sich als Tellerwäscherin zu verdingen und bei ihrem Fleiß und
ihrem Gedankenreichtum, dachte sie, würde sich der Goldsegen wohl
bald einstellen.
Indes wusch sie Jahr um Jahr dieselben Teller und Töpfe, wenig kam
sie aus der Küche und den Gemächern in dem großen Hause
heraus, in dem sie diente, und die wenigen Goldstücke in ihrem Beutel
waren oft schneller aufgezehrt, als sie verdienet. Um sie herum sah sie
derweilen auch keinen, der es zu großem Überfluß gebracht
und frug sich, wo denn der rechte Weg zu Wohlhabenheit und Glück
in diesem Lande einzuschlagen war. Man sagte ihr, dass sie dann wohl ein
eigen Ding in Gang setzen müßte, woran mehr einzustreichen
wäre als mit putzen und spülen. Wo sie aber ein solches entworfen
und beim Amte vorgeschlagen, fand sich keiner, der es hätte umsetzen
mögen es sei denn, sie hätte ein beträchtlich Vermögen
aufgebracht, um damit selbst Handel zu treiben. Und als ein Einfall dann
wohl Früchte trug, und sie den gerechten Lohn hierfür einfordern
wollte, da war ihr Gönner nicht mehr aufzufinden und im Amte war
ihr Name keinem mehr geläufig.
So sie aber an die Stätte ihres Wirkens zurückkehrte, da türmten
sich die Schüsseln und Teller zu Bergen so hoch wie noch nie. Wohlan,
wenn es denn ebenso reichlich entlohnt wird, sprach sie zu sich, werd
ich den Berg wohl kleinmachen. Als dann aber der Zahltag anbrach, waren
es nur wenige, schäbige Blechmünzen, die man ihr noch überlassen
wollte. Und als sie anhub zu schelten bedeutete man ihr, mit dem Werkzeug,
das sie neu geschaffen, könnte ihre Arbeit wohlfeiler und in geringerer
Zeit verrichtet werden, so dass sie nun sich auch mit einem geringeren
Lohn bescheiden müßte, wollte man nicht ihre Arbeit ganz demselben
überlassen. Und so mischte sich manche bittere Träne in das
Spülwasser, das sie über die Schüsseln und Teller goß.
Rastlos zog sie seither von Stadt zu Stadt, von Hafen zu Hafen, um den
seltsamen Fremden aufzuspüren, der ihr tausende von Dukaten in Aussicht
gestellt. In einer Hafenschänke fand sie ihn schließlich, alt
und grau geworden, sparte nicht mit Vorwürfen darob, was er ihr hatte
versprochen und frug ihn, wo denn der Weg zu Glück und Reichtum in
diesem Lande sei. Der Alte faltete seine Hände, runzelte seine Stirn
und erwiderte, dass noch kein wirklicher Tellerwäscher in diesem
Land zu Reichtum gekommen wäre. Wer als Küchenhilfe, Schuheputzer
oder Kofferträger sein Auskommen verdiene, müsse es daselbst
wohl für immer bleiben. Nur von dem Sohn eines der reichsten im Lande
habe er gehört, der bei seinem Vater in den Küchen und Werkstätten
die niedersten Dienste, auch Tellerwaschen, habe verrichten müssen,
damit er lerne, später das Geld und die Menschen im Dienste seines
Vaters stets gut zu achten und nicht sein Vermögen verschleudere.
Die Mär von diesem sei im Lande sehr wohl oft zu hören, da Männer
von großem Reichtum gar viele der Dienstboten benötigten, die
noch für ein Butterbrot ihr Werk zu verrichten bereit wären,
wenn sie nur von einem Leben in Prunk und hohem Ansehen träumen dürften.
Mit traurigem Blick frug die Müllerstochter den Alten, wie ihr denn
dann noch ein besseres Schicksal hold sein könnte.
Der spendete ihr abermals Trost mit den Worten, dass viele der reichen
Männer sehr unter ihrer Einsamkeit litten. Wenn nun im rechten Augenblick
ein liebendes Wesen ihre Wege kreuzte, früge man nicht nach seiner
Herkunft. So das Glück ihr winken sollte, möchte sie die Nähe
der großen Männer des Landes suchen.
So begab sich die Müllerin in die Wälder und die einsamen Berge,
ob nicht einer der Hochangesehenen den Weg verloren und ihrer Begleitung
bedurfte. An den stillen Seen saß sie, hoffend, dass ein Nobler
badend Opfer eines Raubs seiner Kleidung würde, wofür sie stets
einen feinen Rock in einer Tasche bei sich trug, um zur rechten Gelegenheit
Beistand zu leisten. Und wo ein festlicher Umzug stattfand, kundschaftete
sie aus, ob sie sich nicht einem der Herren vor die Füße werfen
wolle, damit er sie auf Händen in seine Behausung trüge. Keinem
ihrer Jäger und Kämmerer vergönnte sie indes ein Wort oder
nur einen Blick, wenn er ihr seine Hilfe antragen wollte, wohl bis auf
den heutigen Tag.
* * *
So sei es wohl des öfteren, pflichtete der Hoimann dem Herren von
Bamberg bei. Der armen unschuldigen Jungfrauen wären kaum noch aufzutreiben,
weil sie sich damit nicht mehr bescheiden wollten. Er habe in-dessen die
Hoffnung auf Erlösung schon aufgegeben und sehe seine Erfüllung
damit, allerlei Schabernack zu teiben, wenn man ihm denn schon nicht den
Frieden gönnte.
Der Gerichtsmann ermahnte indessen den Alten, nicht zu verzagen. Ihm sei
ein Fall bekannt geworden, dass ein einfacher Mann wie er ebenso falsch
geschworen mit dem Löffel im Hute und Erde in den Stiefeln. Dies
sei bei Wasserlos im Kahlgrunde gewesen, dort aber sei von einem Geistermann
nichts bekannt. Dies erregte sogleich große Aufmerksamkeit beim
Hoimann, und er frug, was denn dort geschehen und ob denn sein Unrecht
gesühnet. Dies sei, so antwortete Knobel, ihm nicht bekannt. Wohl
aber wisse er, dass dort kein Land mehr sei, um das es noch zu streiten
gäbe und so sei auch die Verdammnis des Meineidigen wohl nicht mehr
vonnöten. Und er erzählte, wie es so weit gekommen.
Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Nr. 5