7. Der Gärtner und sein Advokat

Ein Gärtner, der nachts von einem Feste nach Hause kam, hörte vor seinem Tor in einem Busche ein Rascheln und wollte daselbst der Ursache nachspüren. Er fand darin einen für die kühle Jahreszeit nur spärlich bekleideten, alten Mann in recht erbärmlichem Zustande. Dieser erzählte ihm, er habe zwei junge Leute in seinem Wagen befördern wollen, diese hätten es ihm aber nicht gedankt und stattdessen sein ganzes Geld, seinen stattlichen Wagen und am Ende sogar noch Mantel und seinen teuren Anzug seine mitgehen lassen. Nun sei er in einer sehr mißlichen Lage, denn er müsse noch jetzt zu einem wichtigen Treffen in der Stadt und am anderen Morgen Termine von großer Bedeutung wahrnehmen. Der Gärtner ließ sich nicht lange bitten, gab dem zitternden Mann Kittel und Beinkleid, setzte ihn in seinen Wagen und fuhr in noch zu gleicher Stunde in die Stadt zu dessen vornehmer Behausung. Der Alte gab sich als einen Doktor der Rechte, einen Advokat von bester Reputation, zu erkennen und versprach dem Gärtner, er wolle sich ihm gerne erkenntlich zeigen, wenn er einmal seiner Hilfe bedürfe. In seiner Kanzlei werde er immer als sein geschätztester Mandant bevorzugt empfangen.

Der Gärtner begab sich sodann wieder nach Hause und erzählte den seltsamen Vorfall seinem Weibe. Dieses schalt ihn aber nun arg, warum er nicht gleich die Dienste des Alten in Anspruch genommen hätte. Seit Jahren plage sie sich mit den Trunkenbolden herum, die auf der Straße vor dem Gasthaus an der Ecke lärmten und zechten und ihr den Schlaf raubten. Er solle noch am nächsten Tag zu dem Advokaten gehen und die versprochene Hilfe einfordern.

Mit leichten Unbehagen begab sich so der Gärtner am nächsten Morgen in die Stadt zum Hause des Alten, wo ihn eine junge Frau mit einem freundlichen Lächeln empfing und ihn sogleich zu ihrem Herrn führte. Der empfing ihn sogleich mit freudigem Gruß und fragte ihn nach seinem Begehr. Der Gärtner trug ihm sein Anliegen vor, worauf ihm der Herr der Kanzlei sofort seine Unterstützung zusagte. Er nahm ihn sodann mit in ein Kaffehaus, wo er einen kleinen grauhaarigen Mann traf, der sich als Gutachter ausgab und versprach, eine Expertise zu erstellen, die dem Anliegen des Gärtners weiter hülfe. Wenige Wochen später kam die Sache vor das Gericht. Dort trat nun der Grauhaarige auf, der der Familie des Gärtners schweren Schaden an Gut und Gesundheit durch den Lärm und die Ausdünstungen der Gasthausküche bescheinigte und das Musizieren und den Empfang von Gästen nur bei geschlossenen Türen zu bestimmten Zeiten für billig erachtete, und nur dann, wenn der Gärtner sein Einverständnis gegeben habe. Das Gericht folgte dem Experten, die Zechbrüder durften nicht mehr unter freiem Himmel ihren Trunk einnehmen und bald schloß die Schenke ihre Pforten, weil ihr die Gäste wegblieben. Im Hause des Gärtners kehrte hinfort zu allen Tages- und Nachtzeiten Ruhe und Frieden ein.

Sein Weib aber ging hin und her mit finsterer Miene und schließlich schalt sie heraus, dass sie an ihrer neuen Umgebung immer noch wenig Gefallen fände; denn die Bäume auf des Nachbarn Grund nähmen ihr jedes Sonnenlicht und alle Tage hätte sie zu tun, das Laub zu beseitigen. Der Gärtner solle abermals zum Advokaten gehen und ihr einen ungestörten Ausblick erstreiten, sowie dafür sorgen, dass ihr das Aufräumen des Laubs erspart bliebe.

Mißmutig machte sich der auf den Weg zu seinem Gönner. Dort wurde er am Eingang nur noch mit einem knappen Lächeln empfangen und mußte auf den Doktor der Rechte ein Weilchen warten. Der empfing ihn mit ausgesuchter Höflichkeit, auf seiner Stirn zeigte sich jedoch eine hohe Falte. Nichtsdestoweniger sagte er ihm auch diesmal seine Unterstützung zu.

Vor dem Gericht trat unversehen wieder der Grauhaarige, nun aber als vom Gericht bestellter Gutachter, auf und gab eine Pfütze vor dem Hause des Gärtners als einen schützenswerten Tümpel aus, in dem durch das Blattwerk und den Mangel an Licht alle Lebewesen unterzugehen drohten. Außerdem würde der Klagende durch den Samenflug in seiner Gesundheit schwer geschädigt und habe Anspruch auf eine stattliche Ent-schädigung für entgangene Lebensfreude. Die Richter folgten wiederum den Ausführungen des Weisen und bald schon konnte der Gärtner freien Blick über den Grund seines Nachbarn genießen und in der Sonne sitzen, ohne von Schatten und Blattfall beeinträchtigt zu. Von dem erstrittenen Gelde wurde ein Gartenhaus gebaut und das Innere der alten Behausung den bescheidenen Ansprüchen des Gärtners gemäß neu gestaltet.

Nur wenige Wochen vergingen indessen, da war es, als ob sich der Frau des Gärtners wieder die Miene verfinsterte und an vielen Abenden wollte ihr kein Wort mehr über die Lippen kommen. Schließlich brach es aus ihr heraus, dass nur das Haus des Nachbarn zwischen ihrem Anwesen und dem von ihr so geliebten Wald und dem Wege zur Einkaufsstätte stände und sie deshalb jedesmal einen großen Umweg nehmen müßte und sich nicht an den Schönheiten der Umgebung ergötzen könnte. Der Gärtner solle zum Advokaten gehen und dafür sorgen, dass das Haus abgerissen würde.

Mit zitternden Knieen machte sich der Angesprochene wieder auf den Weg. Düster und unwirtlich schien ihm heute die Kanzlei, und am Empfang saß nun eine füllige, finster dreinblickende Dame, die ihn erst nach einiger Zeit ansprach und ihm eine große Anzahl Fragen stellte, wer er sei, woher er käme und wer für seinen Lebensunterhalt aufkäme. Auch der Advokat ließ ihn eine geraume Zeit warten, bevor er ihn zu sich bitten ließ. Sein Gesicht war von Furchen durchzogen und abweisend war sein Blick, als den Bittsteller fragte, was er wolle. Dieser trug ihm sein Anliegen vor, nicht ohne sich über sein Weib zu beklagen, das nicht zufriedenzustellen sei und bat ein weiteres Mal um Rechtshilfe. Dies sei bei diesem Sachstand nicht so einfach, bedeutete ihm der Jurist, und er müsse dabei schon mehrere Experten bemühen, bis einer zu dem gewünschten Ergebnis käme. Schließlich fand sich jedoch einer aus dem Schweizer Land, der befand, das Haus des Nachbarn wäre durch eine unsachgemäße Bauweise vom Abrutschen bedroht, gefährde dabei Grund und Sicherheit des Klagenden und habe dessen Boden schon so weit verschoben, dass dessen eigenes Haus dem Einsturz nahe sei. Wohl wendete des Nachbars Rechtsbeistand ein, dass er diese Befürchtung nicht verstünde, weil sowohl dessen wie des Klägers Haus im ebenen Land auf felsigem Boden stünden. Dieses aber, so entgegnete der kluge Schweizer, sei nicht Gegenstand der bei ihm in Auftrag gegeben Untersuchung gewesen und könnte hier nicht berücksichtigt werden. So verfügte das Gericht den Abriß der beklagten Wohnstätte nebst einer großen Geldsumme zur Sicherung und dem Neuaufbau des Gärtnerhauses.

So lebten nun der Gärtner und seine Frau in Frieden und großem Wohlstand. Der Nachbar hatte seinen Hausstand aufgeben müssen und seinen Grund hatte der Gärtner von dem erstrittenen Gelde erwerben können. Nur von Ferne konnte man den nächsten Anrainer erblicken, das Lager eines Eisenhammers, und nur bei ungünstigen Wind konnte man von dem geschäftigen Treiben dort etwas vernehmen. Sooft aber der Gärtner nun in seinem großen Park am Waldesrand saß, ruhte der Blick seiner Frau nur auf dieser Manufaktur und schließlich kam der Zeitpunkt, wo sie vor ihn hintrat und sprach, sie wolle nicht dort sein, wo Staub, Lärm und Ruß ihr die Lust am Leben nähmen. Ihr Gatte solle noch am nächsten Morgen in die Stadt fahren und vom Advokaten die Schließung der Fabrik verlangen.

Zitternd und zagend begab sich der Gärtner auf den Weg. Dräuend und hoch erschien ihm die Kanzlei dieses Mal, lange mußte er auf Einlaß harren, und barsch wurde er von der Empfangsdame wieder zum Warten aufgefordert. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, als man ihm bedeutete, dem Herrn der Kanzlei seine Aufwartung zu machen.

Der sah von seinem schweren Schreibtisch aus tiefen Augenhöhlen mit grimmigem Blick zu ihm herab und fuhr ihn an, er habe doch nun wahrlich genug erstritten und was er denn jetzt noch wolle. Mit bebender Stimme berichtete der Angesprochene, was sein Weib nun wieder von ihm verlangte und bat um Hilfe. Mit einem dumpfen Schlage schloß daraufhin der furchtbare Advokat die vor ihm liegende Akte. Diesem Ansinnen könne er nicht nachkommen, weil der Verwalter des Eisenhammers ihn bereits um Rechtsbeistand ersucht habe, und zwar gegen ihn. Zaghaft versuchte der Gärtnersmann einzuwenden, dass er doch ehedem einen Pakt mit ihm geschlossen habe, aber sein Gegenüber ließ ihn wissen, der habe nur für seinen Rechtsstreit mit seinem ehemaligen Nachbarn gegolten und sein neuer Auftraggeber könne jeden Advokaten, den er wolle, in seine Dienste stellen und er könne ebenso beliebig diesen Auftrag annehmen.Daraufhin ließ er den Gärtner vor die Tür geleiten.

Schlimm erging es nun dem Gärtner und seiner Frau vor den Schranken des Gerichts. Wieder trat der kleine Grauhaarige auf, doch nun wies er nach, dass des Gärtners Bewuchs die Zufahrten des Eisenhammers beeinträchtigten, seine Kinder und Gäste sich unerlaubt auf Werksgelände aufhielten, sowie dass der Beklagte allerlei Unrat in seinem Ofen verbrannte und so die Luft in den Hallen und Behausungen des Werks mit giftigen Dämpfen schwängere. Außerdem habe er durch seine Gartenanlagen den Grund des Werksgeländes abgegraben, wodurch großer Schaden entstanden und neue Befestigungen erforderlich geworden seien. Baum für Baum, Strauch für Strauch mußte er opfern, schließlich seinen dazugewonnen Grund an die Firmenherren verkaufen und mitansehen, wie sein ehemaliger Nachbar, der in den Diensten des Unternehmens stand, sein Haus neu errichtete und seine ehemaligen Baumbestände wieder aufs neue anlegte. Viele Gäste und Feste sah der Gärtner auch seither auf dem angrenzenden Grund, doch sein Weib schwieg.

* * *

Solcherlei sei, so sprach der Doktor aus Bamberg, wohl das Los seines Berufsstandes. Einem jeden sei angetragen, dem Gesetze zu dienen, doch stehe er vor allem anderen in seines Auftraggebers Brot. Was er zu schätzen und wovor er die Augen zu verschließen habe, sei nicht seinem Ermessen anheimgestellt.

Nun aber könne keiner, der dem Wohl aller dienen oder großes schaffen wolle, dies tun, ohne dass einer ein Äckerlein im Weg, ein Düftlein in der Nase oder ein Gelärms in den Ohren befürchtete. Wenn nun diesem allem stattgegeben würde, so gäbe es des Neuen gar wenig, die Zeit bliebe stehen und das Land würde bald in Armut verfallen. So sei es an ihm und an anderen Berufsständen, die ihm ebenbürtig , die Mehrung des Reichtums aller nicht an Kleingeistern und Querulanten scheitern zu lassen. Und voller Lob erzählte er von einem Schulzen im Aschaffenburgischen, den er gut gekannt.

Weiter

Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Nr. 2