8. Das glückliche Bürgermeisterlein

In einem Dörfchen zwischen dem sagenhaften Schloss Mespelbrunn und dem wohlhabenden Aschaffenburg lebte einst ein Bürgermeisterlein, dem die Bürger immer gern ihre Stimme gegeben und der für sie, ob groß oder klein, arm oder reich, doch fast immer seine Sache recht gemacht hatte. Ging er aus dem Rathaus, grüßte man ihn freundlich, auf Hochzeiten wie allen anderen Familienfeiern war er gern gesehen und wenn er aus dem Fenster blickte, lachte die Sonne über der grünen Flur, lange Schatten warf der Wald, der fast bis ans Dorf heranreichte und fast schien es, als ob die Vöglein in den Hecken, wenn er vorbeiging, ihm noch ein eigenes "Grüß Gott" zwitscherten. Als er aber an das Ende seiner Amtszeit kam, wollte ihm nicht mehr wohl werden, weil der Wald, die Wiesen und Felder wohl schön anzusehen waren, nichts aber an seinen Namen und seine Tätigkeit erinnerte. Tage und Nächte grübelte er, ob er wohl aus dem Gedächtnis der Dorfbewohner gelöscht sein würde, wenn ein anderer an seiner Stelle säße und die Geschicke des Dorfes nach seinen Vorstellungen und Wünschen lenkte.

Wie er nun wieder einmal sinnend seines Weges zog, sprach ihn ein wohlhabender Bürger seines Ortes an, der schon so manches Haus und mehr daselbst entworfen und erbaut hatte. Was hätte er den Bürgern des Ortes gegeben, gab er ihm zu bedenken, und was sei sein Lohn, wenn er seinen Hut nähme. Und er machte ihm ein Angebot: Sein stattliches Unternehmen suche einen tüchtigen Mann, der im Rat seiner Geldgeber den Vorsitz führe, und wenn er es klug anstelle, könne im wohl gerne zu seinen Ehren ein großes Haus der Bürger errichtet werden, das seinen Namen trüge. Vor diesem Hause könnte zu seinem Gedenken noch ein Platz eingerichtet werden, wo er Tag für Tag sich an seinem Werk ergötzen könne. Wie leicht fiel dem Bürgermeisterlein diese Entscheidung , denn beim Dorfplatz am Rathause hatte sich allerlei an ärmlichen, alten Hütten angesammelt und Buschwerk, Wiesen und Bäume hielten viele der Wagen fern, die zu seinem Amte wollten. Als ein Jahr und ein halbes vergangen war, erstrahlte das Haus der Bürger in hellem Glanze, wo vorher alte, krumme Häuser gestanden hatten, und wo einst Büsche und Wiesen die Kutschen behindert hatten, fanden diese nun auf einem großen, schwarzen Platze vor dem neuen Hause Raum. Wie strahlte da das Bürgermeisterlein ob seines holden Geschicks und Tag für Tag suchte er den Platz seines Wirkens auf, um sich daran zu erbauen.

Doch als Jahr und Tag vergangen waren, kam dem Bürgermeisterlein doch die Langeweile auf, denn auch wenn die Mitte seiner Wohnstatt nun so viel schmucker geworden, war, waren es doch nicht sehr viele, die daselbst verkehrten und ihr Domizil suchten, denn sein Dorf war klein und ärmlich und der Gewerbetreibenden gab es nur wenige. Da traf er im Dorfgasthaus einige Meister und Händler aus dem Umland, mit denen er ins Gespräch kam. Zu seiner Verwunderung klagten sie ihm ihr Leid, dass sie ja gerne die Stätten ihres Wirkens in seinem Dorfe sähen, doch ringsumher sei Wald und unwegsames Gelände, so dass sie wenig Aussicht hätten, sich daselbst niederzulassen. Er könne jedoch in der Gemeinschaft der Händler und Gerwerbetreibenden gerne an oberster Stelle sitzen, wenn er nur denselben Raum schüfe. Wieder sah sich das Bürgermeisterlein vom Glücke geküßt, denn wer kümmerte sich schon um Wald und Wildnis, wenn so mancher Mann sein Brot in den neuen Werkstätten fand und das ganze Gemeinwesen mit so erreichten Einkünften erblühte. Bald schon lärmten die Sägen und Maschinen, Licht kam ins Dorf , ein ganzes neues Viertel entstand, wo vorher nur Wildnis gewesen, das wurde nach dem Bürgermeisterlein benannt. Schmucke Werkstätten und Manufakturen schossen aus dem Boden, wo vorher sich Fuchs und Hase gute Nacht gesagt hatten, gingen die wohlhabenden Herren aus dem ganzen Land aus und ein. Viele Gäste sah das Dorf nun, und das Bürgermeisterlein wußte sich vor Glück kaum zu fassen.

Wo aber viele Leute sich niederlassen und im Orte fremd sind, wollen sie auch so manches Fest feiern, und da lag in der Gemeinde doch so manches im Argen. Denn der Gasthäuser gab es gar wenig, und für Jahrmarkt und Kirchweih hatte man nur ein gar enges Plätzlein vor der Kirche, wo sich bald die Leute ob des großen Zustroms auf die Füße traten. In dieser Not kamen von den Vereinigungen und Kongregationen des Dorfes die Repräsentanten zu dem Bürgermeisterlein und frugen ihn, ob er nicht ihrer aller Herr werden möge, denn nur mit ihm sei den Räten des Umlandes die Permiß abzuringen, dass dem Orte die Einrichtung eines Festplatzes im Günen gewähret würde. Fast weinend vor Glück sagte das Bürgermeisterlein dieses zu, denn schon immer hatte er es als die größte Ehre erachtet, den noblen Vereinigungen des Ortes vorzusitzen. Schon bald ward nun Sumpf und garstiges Gestrüpp nahe dem Walde am Ortsrand beseitigt, eine ebener Platz mit grünem Rasen, gar herrlich anzusehen, ward angelegt, und wo sich einst die Wildschweine gesuhlt, erstand ein stattliches Heim mit einer trefflichen Schenke, wo sich die Bürger und die Spielmänner des Ortes nun Woche für Woche trafen. Und da so endlich auch der finstere Wald zurückgedrängt, war so mancher Gärtner nun froh, endlich nicht mehr die Eber und Bachen in seinem Garten wühlen zu sehen und nicht wenige konnten nun endlich des Sonntags nach Belieben im Schlafe verharren, weil nicht mehr lärmende Vögel und wilde Nager sie daraus aufschreckten.

Im Orte selbst aber ward immer noch gescholten, denn so sehr nun die Bürger sich an ihrem neuen Reichtum erfreuten, so holperig waren noch die Wege und so mancher Wagen blieb in den engen Hohlwegen, die zum Dorf hinausführten, stecken, oder kam auf den engen, baumbestandenen Straßen nicht an einem anderen vorbei. So kam es dem Bürgermeister gerade recht, dass ihn der Inhaber einer Wegmacherei ansprach und ihm antrug, ob er denn nicht sein Gesellschafter werden möge. Fast hätte er vor Lust und Wohlsein einen Luftsprung gemacht, fiel dem Wegemacher um den Hals und versicherte ihm, noch nie sei ihm jemand so gelegen gekommen. Bald schön dröhnten wieder die Maschinen, die Hohlwege wurden eingeebnet und die Straßen des Dorfes von den einengenden Bäumen befreit. Wer von nun an in das Dorf kam, konnte mit Lust seine Kutsche mit voller Fahrt an den Häusern vorbeirauschen lassen und viele sagten, dass selbst in den großen Städten des Landes die Wege nicht in so gutem Zustand wären. Die breiteste der neuen Straßen aber wurde nach dem glücklichen Bürgermeisterlein benannt.

So sehr es aber nun in der Gunst der Bürger stand, so unglücklich blickten allenthalben die Bauersleute drein, wenn sie auf dem Markt ihre Ware feilboten. Und in der Tat, kärglich und mager sahen ihre Feldfrüchte oft aus, wenig nur konnten sie dem Boden entlocken und oft waren Rüben und Kartoffeln innen schwarz, die Äpfel und Zwetschgen klein und voller Ungeziefer. Und als ihn eines Tages einer der Landmänner ansprach, ob er nicht ihr Obmann möge werden wollen, dafür erhielte er gern ein rechtes kleines Äckerchen zur Pacht, da war es, als hätte ihn wiederum Fortuna um ein weiteres mal ihr Füllhorn über ihn ausgegossen. Denn lange schon bedrückte ihn wie die anderen Bauersmänner die zerrissene Flur, die zerstückelten Äckerchen, wo nach ein paar Schritten schon das Land des nächsten begann und die vielen Bäumchen und Hecken, wo bald einer nicht mehr wußte, was einem gehörte und wo die kostspieligen Maschinen mehr herumkurvten als dass sie arbeiteten. Mit Herzenslust übernahm es das Bürgermeisterlein, der seinem langgehegten Wunsch, ein Bäuerlein zu werden, endlich sich erfüllen konnte, die schmalen Zipfel Lands zu verteilen, die Hecken umzupflügen und die lästigen Apfelknorren umzuhauen. Bald schon sah die Flur aus, als hätte sie ein Geometer mit seinem Reißbrett gezogen, das Kleingetier ward in die Wälder getrieben und auf dem Markt sah man neben pfundschweren Kartoffeln und Rüben allenthalben zufriedene Gesichter. Und das glückliche Bürgermeisterlein gab dem erhaltenen Flurstückchen seinen Namen und lebte davon wie der liebe Gott in Frankreich.

So aber viele Reisende und Händler nunmehr das Dörfchen bevölkerten, kam doch bald wieder Unmut, wohl bei dem Bürgermeisterlein wie auch den Leuten, auf, dass auf dem Markte wohl vieles zu kaufen war, aber dass es die Fremden seien, deren Güter feilgeboten würden und nichts den Namen des altehrwürdigen Dorfes trage, was dort erhältlich wäre, nur billiges Gemüse sei zu haben. Doch da begab es sich, dass das Bürgermeisterlein einen Metzger traf, der hatte eine köstliche neue Wurst bereitet, doch hatte er Sorge, wie er sie unter die Leute bringem könnte. Und so trat er an das Bürgermeisterlein heran mit einem Stand, wo ein trefflicher Herd das Werk einer Küche verrichtete, und einem mächtigen Schirme, und trug dem tüchtigen Manne an, dies alles könnte sein eigen sein, wenn er doch nur seine Wurst mit seinem Namen versehen und feilbieten könnte. Wie hüpfte da das Herz im Leibe des Bürgermeisterleins, der nun sah, dass das Werk eines wackeren Handwerksmanns seinen Namen in allen Landen unsterblich machen könnte. So stand er nun Tag für Tag an seinem Stand unter seinem Schirm und briet, was die Herde hielten, die Würste zu des Bürgermeisterleins Ruhm Alle, die vorbeigingen, lobten seine Ware und berichteten, in wieviel Städten im Lande man sie bereits anböte und schätzte. Die fliegenden Händler mit frischem Obst und Gemüse hatten bald das Feld zu räumen und das Bürgermeisterlein sonnte sich allein in seinem Glück.

Bald brach jedoch der Winter herein, das Bürgermeisterlein fror unter seinem Schirm und der Kunden wurden es auch von Tag zu Tag weniger. Da sah er einen Maler mit einem Farbeimer nebst Pinsel, der hungerte und hub an, wie gern er doch mit dem Bürgermeisterlein tauschen wollte, der immer genug zu essen und einen warmen Ofen bei sich hatte. Dem fiel es aber nun wie Schu-pen von den Augen, dass Wurst immer nur Wurst bliebe und ihr Name vergessen wäre, wenn sie verspeist. Mit dem Werkzeug des Malers jedoch könnte er sich an jeder Wand, jedem Baume und jedem Zaune verewigen. Das Bürgermeisterlein pries wiederum sein Schicksal, das es so gut mit ihm gemeint, übergab freudig dem Maler den Bratwurststand und zog fortan mit Pinsel und Eimer durch die Lande.

Da er jedoch nicht mehr der jüngste war, wurde ihm sein Werkzeug bald schwer und er setzte sich auf eine Bank an einem Hang um seine Kräfte wieder etwas aufzufrischen. Da geschah es, dass der Eimer mit dem Pinsel darauf, das Übergewicht bekam, den Hang hinunterpurzelte, sich dabei öffnete und den ganzen Inhalt in die Flur entleerte. Der Pinsel fiel in ein Schlammloch, so dass das Bürgermeisterlein bald sah, dass er nicht mehr zu gebrauchen war.

So stand es wohl ein Weilchen mit offenem Munde da, dann sah es sich jedoch um, erblickte schmucke, weiße Häuser um sich herum, wo einst schiefe Hütten gestanden, emsig schaffende Manufakturen, wo einst Wildnis die Schritte gebremst, und weite braune Flächen, wo einst Hecken und Wald. Der Lärm und der Schmutz der Vögel war entschwunden, die wilden Buben machten nicht mehr die Straßen unsicher, sondern blieben brav in ihren Häusern. Helles Licht durchflutete die Straßen, kein finsterer Wald ließ seine Nebelschleier ins Dorf wallen. Auf den Straßen fuhren die glänzendsten Karossen, statt dass alte hutzelige Griesgrame über sie hinkten und den Fahrern mit ihren Stöcken drohten. Ringsum war es mit der Langsamkeit und dem Müßiggang vorbei, überall bestimmte Geschäftigkeit das Ortsbild. Und wo er auch hinsah, stand angeschlagen, was alles sein Werk. Nicht garstiges Gras und Buschwerk streifte sein Beinkleid, sondern allenthalben hielt feiner, weißer Stein den Schmutz von ihm fern. Kein Baum ließ sein lästiges Blattwerk in die gepflegten Gärten fallen und kein Staub aus den wuchernden Blüten konnte mehr auf die glänzenden Fensterscheiben der Häuser und Karossen sinken. Und das Bürgermeisterlein pries den Herrn, und alle Bürger taten es mit ihm, dass er ihn und seine Gemeinde zu den Glücklichsten auf dieser Erde gemacht hatte.

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Dieses sei das Werk eines Tüchtigen, sprach Knobel der Hochachtung voll. Und es gereiche ihm zur Ehre, zu so großem sein Scherflein beigetragen zu haben. Armselig und schmutzig wären die Dörflein den Spessarts noch vor wenigen Jahrzehnten gewesen. Ein Schmuckstück und eine Au-genweide seien sie nun dem, der das Land bereiste. Niemals hätte dies sein können ohne seine und seinesgleichen Hilfe. Die Wässerlein würden Trank der Wandersleute und der Hirschlein sein, die Wiesen den Schafen gehören, die Wege nur auf Schusters Rappen zu meistern. Und er erzählte, wie die Klugheit eines Muselmanen dem Lande zu Reichtum und Ansehen verholfen.

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Quelle: E-Mail-Zusendung von Hartmut Haas-Hyronimus, vom 8. November 2004, Hoimanns Erzählungen, Nr. 8.