Die drei Gänse (Le tre occhette)

Drei Gänse waren auf einem Jahrmarkte gewesen und kehrten mit den eingekauften Sachen nach Hause zurück. Aber sie mussten durch einen Wald gehen und auf dem Wege überraschte sie die Nacht. Da beriethen sie, was zu thun sei; "wir arme Gänse können heute unsere Wohnung nicht mehr erreichen — was fangen wir nur an, um uns vor dem Wolfe zu schützen?" Sie beschlossen sich Häuser zu bauen und sie bauten sich jede ein besonderes, die erste aus Stroh, die zweite aus Holz, die dritte aus Eisen.

In der Nacht kam der Wolf und ging zuerst vor das Häuschen aus Stroh. "Liebe Gans", rief er, "mache mir auf, sonst blas' ich dein Haus über den Haufen!" Die Gans öffnete nicht, der Wolf blies ihr Haus um und verschluckte sie.

Dann ging er vor das Haus der zweiten Gans und sagte: "Liebe Gans, mache mir auf, sonst werf ich dein Haus um!" Als die Gans nicht aufmachte, warf er ihr Haus um und verschlang sie ebenfalls.

Darauf ging er vor das Haus der dritten, welches von Eisen war, und sagte wieder: "Liebe Gans, mache mir auf, sonst schlag" ich dein Haus zusammen!" Die Gans aber öffnete nicht. Da ward der Wolf zornig und schlug auf das Haus los; das Haus brach nicht, aber er schlug sich einen Fuss ab. Nun hinkte er auf drei Beinen zu einem Schlosser und liess sich einen eisernen Fuss ansetzen. Sodann kehrte er wieder zum Hause der Gans zurück und bat sie um Einlass, aber die Gans lachte nur und that nicht auf. Da ward er gelassen und sann auf List. "Ei, liebe Gans, lass mich mir auf einen Augenblick hinein, ich möchte mir eine Suppe kochen, ich habe so grossen Hunger!" So sprach er flehentlich, allein die Gans erwiederte: "Aufmachen kann ich dir nicht, lieber Wolf, aber ein gutes warmes Süppchen will ich dir wol kochen, sollst dran deine Freude haben." Sie ging, schürte ein Feuer an und hing einen Kessel voll Wasser darüber, bis es siedend heiss war. Dann trat sie zum Fenster und rief hinab: "Nun, lieber Wolf, sperre den Rachen nur recht weit auf, das Süppchen ist fertig, ich giess' es dir hinab." Der Wolf sperrte den Rachen weit auf und die Gans schüttete das siedend heisse Wasser hinab, so dass der Wolf ganz verbrüht wurde und jämmerlich verendete. Nun ging sie hinaus, riss ihm den Leib auf und befreite ihre Schwestern, welche noch lebten und fröhlich heraus sprangen. Und sie kamen alle drei wolbehalten nach Hause. —

Quelle: Märchen und Sagen aus Wälschtirol, Ein Beitrag zur deutschen Sagenkunde, gesammelt von Christian Schneller, Innsbruck 1867, Nr. 42, Seite 121
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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