II. Der Beatrìk

Der Beatrìk ist ein unglaublich grosser Mann, welcher sich in den Höhlen der steilsten und schroffsten Gebirge oder in den dichtesten Wäldern aufhält.  Niemand vermöchte zu sagen, welche Gesichtsfarbe er habe, welchen Bart und was für Haare er trage, denn wer ihn sah, wagte es nie ihm in's Gesicht zu sehen, — so schrecklich ist er.  Bei Tage lässt er sich in bewohnten Orten nie sehen, sondern bleibt in seinen Höhlen; zur Winterszeit weilt er bei Alphütten, die von den Sennen längst verlassen sind.  Unglücklich jener, der in gedachter Jahreszeit sich dort befindet!  Der Beatrìk ist zwar nicht boshaft und hasst die Menschen nicht, er thut dem nichts zu Leide, der muthig stehen bleibt, ihn vorüber gehen lässt und sich stellt, als sähe er ihn nicht; was aber schädlich, das ist die Furcht, die er einflösst. Seine Begleiter sind eine grosse Menge kleiner Hündchen, welche so haarig sind,  dass man an ihnen weder Beine noch Kopf noch Schweif sieht und dass sie beim Laufen eben so vielen dahin rollenden Knäueln gleichen. Sie folgen ihrem Herrn und bellen unaufhörlich, so dass man ihr bif baf schon von weitem hört, wenn der Beatrìk herankömmt. Schrecklich ist sein Ruf hop oder op, womit er seine kleinen Hunde an sich hält, damit sie sich nicht zerstreuen oder verloren gehen. Bei seinen nächtlichen Fahrten hält er immer den gleichen Weg ein; mit einem Schritte macht er eine Viertelstunde Weges und tritt auf die Hügel, nie in die Thalebenen. Auch erscheint er nach der Vorstellung des Volkes bisweilen als Reiter; dann erdröhnt die Erde unter den Hufen seines Rosses.  Das Volk weiss die Orte, wo er vorbeizieht, und die Hügel (Unter solchen Hügelnamen fällt nur ein Col de San Marco (in der Gegend von Borgo) auf; darauf steht ein gemauerter Bildstock —  "capitello" — des genannten Heiligen. Andere Namen sind: "Bessa, Camastol (Gemsthal?), Meussi, crozzi della crea (creta, Kreide Lehm), crozzo dell’ anconetta (ancona, sonst Bild, bedeutet in dortiger Gegend: Fluch) u.s.w ), die sein Fuss berührt, anzugeben, so wie die Stellen zu bezeichnen, wo er seinen Wehruf ausstösst.  Nur bei Nacht, im Winter öfter, besonders zu Weihnachten (Unsere Rauchnächte heissen dort "i fumenti" (fumo, Rauch); ital. le incensazioni.), kommt der Beatrìk bewohnten Orten nahe.  Der Zweck seines Herumfahrens ist die Jagd auf Hexen (die Eguane, s. unten), wesshalb er auch der Jäger und zwar der Jäger von der guten Jagd (il cacciatore della caccia pia) heisst. Wo man den Beatrìk nicht kennt, tritt, wie die unten folgenden Sagen zeigen, der wilde Mann als Jäger für ihn ein. Wer aber in der Nacht seinen Ruf hört, darf ihn nicht wiederholen; sonst würde der Beatrìk ihn in wenigen Schritten erreichen und in Stücke reissen zum Frasse für seine Hunde. Wie er selbst isst, lehrt eine unten folgende Sage. Wer ihn sonst in der Nähe sieht oder hört, muss aus dem Wege gehen und ruhig stehen bleiben mit an einander geschlossenen Beinen, damit nicht etwa ein Hündchen dazwischen durchlaufe; sonst würde er augenblicklich in Stein verwandelt werden.

Dies ist in allgemeinen Umrissen die Gestalt des Beatrìk. Die Sage ist meines Wissens von Centa am obern Rande des Valsugana bis in die Gegend von Borgo verbreitet; auch in Primiero soll sie unter der Benennung "caccia Beatrìc" vorkommen. Dagegen fehlt sie entschieden in Folgareit, Terragnuol und Vallarsa; wenigstens war dort keine Spur des Namens zu finden, obwol die wilde Jagd auch dort bekannt ist. Was den Glauben an dieselbe betrifft, so ist er, wie überall, eine Ruine, die bald spurlos verschwunden sein wird. Die Alten halten noch an der Meinung fest, der Beatrìk habe einst wirklich existirt, sei aber durch das Conzilium von Trient für immer gebannt worden; nach anderer Meinung wäre er etwa vor hundert oder mehr Jahren mit den Wölfen und Bären aus Valsugana. verschwunden. Der Name Beatrìk wird dreisilbig so ausgesprochen, dass die erste Silbe gehoben, auf die lezte aber der eigentliche Accent gelegt wird.

Nun die einzelnen Sagen hierüber.

*Vgl. Zingerle Sagen Nr. 8 und fl. Müller, niedersächsische Sagen Nr. 99; Grimm Mythologie S. 871; W. Schwarz, Der heutige Volksglaube S. 9.

Quelle: Chrsitian Schneller, Märchen und Sagen aus Wälschtirol, Innsbruck 1867, S. 203
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Helene Wallner, 2007.
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