§ 27. Entwickelung des Inhaltes des Nibelungenepos.

Ein wahrhaftes Epos muß, dies zu sein, dadurch ausweisen, daß es den Geist eines Volkes in einer bestimmten Stuffe [Stufe] seiner Bildung allumfassend in sich vorstelle. Das Princip des epischen Lebens ist also von dem nicht zu trennen, was den eigenen Bestand eines Volkslebens ausmacht. Im Indischen Epos sehen wir nach dem Zuge des wirklichen Lebens das langsame Thun der Helden zum Theil in maaßlose Empfindungen verduften, zum Theil selbst in weitläufigen Reflexionen bestehen. Im Persischen Epos ist, bevor es in die treue Geschichte der Könige übergeht, der Kampf von Licht und Finsterniß [Finsernis] in den Reichen von Iran und Turan Quell der Eigenthümlichkeit. Im Homerischen ist es der ganze Himmel aller zu schönen Individualitäten verkörperten natürlichen und sittlichen Mächte in ihrem allwärts regsamen Weben; im Galischen ist es der unmittelbar sittliche Geist der Familie und des Stammes, welcher eine individuelle Natur, Meer, Felsen, Wolken, Mondglanz u. s. w. mit sich durchdringt und selbst den gestaltlos wallenden Nebel, auf dem die Geister der Väter schweben, von sich erfüllt. In der modernen Poesie giebt es kein Epos mehr in diesem reinen Sinn, weil in ihr der Gegensatz von Reich und Kirche so bald die der epischen Welt nothwendige Einfachheit und politische Unbestimmtheit gebrochen hat. Das Deutsche steht hierin noch obenan. Das Spanische, wenn auch in Romanzen zersplittert, hat durch den Gegensatz der Mauren und Gothen, von denen jene im Königreich Granada, diese im rein heroischen Eid ihr Centrum haben, einen acht epischen Charakter, wie auch die Portugiesische Lusiade in der ruhmwürdigen Berührung des Lusitanischen Volkes mit dem wundervollen Orient, wogegen der Kampf der Spanier mit amerikanischen Barbaren in Ercilla's Auracana tief wegsinkt. In diesem Sinn haben die Engländer kein Epos und die epischen Grenzlieder an den Schottischen Marken lassen sich wohl mit den Serbischen Grenzliedern - die Ban's mit den Clan's - vergleichen. Den Franzosen mangelt es vollends an epischer Basis und die frühere ist auf uns übergegangen. Das spätere acht epische Moment des Kampfes mit den Engländern, was bei diesen durch Shakspeare zum dramatischen Epos geworden, ist in einem dunkeln Gefühl öfter von ihnen aufgenommen, aber nie durchdringend geformt, so daß die interessante Liederlichkeit und Frivolität von Voltaire's Pucelle d' Orleans die ernsten Bearbeitungen dieses Stoffs gegen sich immer zu langweiligen Kriegsgeschichten herabgesetzt hat. Die Henriade aber, worin nicht Stämme und Völker, sondern Parteien, noch dazu religiöse, sich bekämpfen, worin der Dichter mit völlig refiectirtem Bewußtsein allegorisches Maschinenwerk einführt, wo Alles geschraubter Memoirenton oder kalte Nachpinselei des Virgilius ist, legt nur Zeugniß epischer Unfähigkeit ab. Dante aber, Chaucer, Ariosto, Tasso u. s. w. gehören schon einer ganz anderen Sphäre an.

Die wahrhaft epische Welt kennt noch nicht die scharfen Unterschiede eines bewußten Staatslebens. In ihr darf noch keine Negierung, nur erst ein Rath sein. Die sittliche Ordnung, das Verhältniß der Familie zu der die Familiengeister als ihre Macht durchgreifenden politischen Gliederung darf noch nicht in Behörden sich aus einander geworfen haben, sondern alle Individuen müssen noch mit eigenem Muth und mit selbstständigem Willen an der ganzen Handlung des gemeinsamen Volksgeistes Theil nehmen. Im Eddaischen Epos ist die Blutrache, mit dem Hort, als dem Familienbesitz, unmittelbar verknüpft, ausschließliches Princip; im Deutschen tritt das der Lehenstreue als das andere hinzu. In den Nibelungen ist eben der Widerspruch, den die innige Verflechtung beider Principe herbeiführt, das Tragische und die besondere Bestimmtheit dieser epischen Welt, welche sie von allen andern unterscheidet und worin auch die Fremdheit liegt, welche jeden zuerst bei Erkenntniß des alten Epos anwandelt. Die poetische Figur, welche die Seite des Dienstes in sich zusammenfaßt, ist Hagen; die, welche den Geist der Familie in der Einseitigkeit der Rache ihres Hauptes zur bestimmenden Macht hat, ist Chriemhild, in deren energischem Selbstbewußtsein sich Anfang, Mitte und Ende, wie im zürnenden und versöhnten Achilleus der Ilias, beschließt.

Wenn man deshalb dem Ausspruch des alten Dichters, daß Liebe in Leid sich verkehre, ein so großes Gewicht, als er selbst, für dies Epos hat einräumen müssen, und sich nun bestimmter fragt, wie denn ein solcher Widerspruch sich erzeuge und wie eine solche Umwandlung der Quell aller tragischen Collision werden können, so kann nur die Aufmerksamkeit auf die sittliche Notwendigkeit in den vorgestellten Verhältnissen eine befriedigende Antwort herbeiführen. Denn wenn auch die tragische Poesie ein allgemeiner Begriff ist, so hat doch derselbe in den einzelnen Kunstwerken eine besondere Bestimmtheit, welche von der Poesie in ihnen selbst nicht getrennt werden kann, weil dieselbe in ihrer schönen Darstellung von diesem Geist der Wirklichkeit beseelt wird. Wollte man daher das Interesse angeben, was an und für sich in den Nibelungen beschlossen liegt, so würde man unzweifelhaft sagen müssen, daß es den sittlichen Geist des Deutschen Mittelalters auf das herrlichste darstelle und eben die tiefe Erfassung, sichere Durchführung und schöne Gestaltung desselben dem Gedicht eine beständige Rückkehr des Geistes zu ihm versprechen. Hierin entdeckt sich auch der Grund, weshalb die religiöse und kirchliche Seite des Lebens so unbefangen behandelt worden. Dies ist keine raffinirte Klugheit des Dichters gewesen, sondern er hat dem Sinne jener Zeit gemäß das göttliche Dasein des Geistes als eine für sich abgeschlossene und besondere Welt genommen, welche neben den übrigen Elementen des Lebens ihren eigenthümlichen Bestand habe. Man geht in die Kirche weil es Sitte ist; Chriemhild besucht die Messe jeden Morgen nach Gewohnheit (4033); man läßt die Pfaffen singen, die Todtenopfer verrichten u. s. w., weil es einmal so ist. So ist denn auch, weder von einem Heiligen, noch von Maria, Christus, der heiligen Dreieinigkeit oder sonst etwas vom speciellen Cultus erwähnt. Nur Gott vom Himmel als der Allmächtige und der übele Teufel werden von den Handelnden berufen und selbst das Heidenthum Ezels wird sehr milde behandelt (V. 5060 fg.), wie denn auch der Gegensatz der Christen und Heiden V. 9279. wohl nicht gerade in religiöser Beziehung zu nehmen ist.

Chriemhild ist also zu Worms bei ihren Brüdern, Günther, Gernot und Giselher, den Königen von Burgund, Sigfrid in den Niederlanden bei seinen Eltern, dem König Sigmund und der Königin Sigelind, welche ihren Sitz zu Samen, haben. Auf einer Sonnenwende wird Sigfrid zum Ritter geschlagen, verrichtet viel tapfere Thaten, hört von Chricmhild
und reitet in Begleitung auserwählter Genossen nach Worms, um sie zu werben. Nicht sogleich aber bittet er um das Mädchen, sondern zeigt zuerst Trotz und Uebermuth, dessen beleidigender Ausbruch jedoch besänftiget und er dagegen in ein freundliches Verhältniß zu den Burgunden gezogen wird, denen er auch in einem Kriege gegen den Dänenkönig Leudegast und den Sachsenfürsten Leudeger wesentliche Dienste leistet, worauf er Chriemhild bei den nunfolgenden Festlichkeiten zum erstenmal sieht - eine der schönsten Stellen des Gedichtes.

Günther will um die amazonenhafte Brunhild von Isenland werben. Sigfrid, näher mit den Schwierigkeiten dieser Werbung bekannt, widerräth es ihm erst. Als aber Günther auf seinem Willen besteht, erbittet Sigfrid sich Chriemhild, wofern er ihm zur Brunhild verhelfe. Von Hagen und Dankwart, zweien Brüdern und Burgundischen Dienstmannen zu Troneg, begleitet, fahren sie gen Isenland. Sigfrid giebt sich verstellter Weise in Isenland für Günthers Dienstmann aus, um diesen in Brunhilds Augen zu erhöhen. Mit Hülfe der unsichtbar machenden und stärkenden Tarnkappe, welche er bei Gewinnung des Nibelungenhortes dem Zwergen Alberich abgekämpft, gelingt es ihm, die Brunhild im Speerwurf, Steinwurf und Steinsprung zu besiegen, worauf diese sich dem Günther ergiebt, von dem sie überwunden zu sein glaubt. Diese Willkür, sogar in einer Jungfrau, sich auf das Spiel zusetzen, ist als reine Zufälligkeit nicht vernünftig. Aber diese magischen Elemente der dunkeln und unbegriffenen Natur, Riesen, Zwerge, Schätze, Tarnkappen u. s. f. - welche Naturgewalt in Brunhild wenigstens zum Willen gekommen - verschwinden im Burgundenlande, wo die menschliche in's Bewußtsein erhobene Sitte herrscht, wie ein wunderbares Gebirge dem sich ihm Entfernenden endlich als ein duftiger blauer Streifen erscheint. Nur die Träume der Weiber sind hier noch weissagende und bedeutungsvolle Stimme des vorahnenden Gemüthes.

Sigfrid empfängt nun als Lohn seiner Thaten Chriemhild, worüber Brunhild, weil sie ihn für Günthers Dienstmann nimmt, als über eine Schändung des edelgebornen Mädchens tief betrübt wird und ihren Gemahl, ihr dies Räthsel zu lösen, diesen Mißgriff durch bedeutende Ursachen wenigstens zu entschuldigen, anliegt. Er aber, um das Geheimniß ihrer Besiegung als directes Bekenntniß seiner Schwäche nicht zu verrathen, sucht sie mit der oberflächlichen Versicherung, daß Chriemhilds Vermahlung mit einem Manne, wie der reiche und mächtige Sigfrid, nichts Unwürdiges sei, von diesem Forschen abzulenken, worauf Brunhild, v. 2603, ihm sagt, sie werde ihm nimmermehr beiliegen, wenn er ihr nicht den wahren Grund eröffne. Sie erfüllt die Drohung auch in der ersten Brautnacht, weil sie die Mähr erfinden will (v. 25Z6). Günther vertraut sein Leid Sigfriden, der ihm Brunhilden zum zweitenmal zu bändigen verspricht. Er schleicht sich also am zweiten Abend ungesehen mit der Tarnkappe in das Brautgemach und überwältigt Brunhild nach einem harten Kampf, worauf Günther sich zu ihr in das Bett legt und Sigfrid davon schlüpft. - Beim Ringen hat er der Brunhild einen Ring und den Gürtel genommen, womit sie Nachts zuvor Günther auf einem Nagel an die Wand gehangen. Diese Kleinode schenkt er seiner Frau und zieht mit ihr nach den Niederlanden.

Brunhild aber, Sigfrid immer als ihren Unterthan ansehend, wundert sich sehr, daß er in einer Reihe von zehn Jahren nicht einmal Zins sende und noch viel weniger, wie es doch seine Vasallenpflicht, eigentliche Dienste leiste. Sie bittet deshalb ihren Gemahl, doch Sigfrid und Chriemhild nach Worms hin einladen zu lassen, was Günther anfänglich mit der weiten Entfernung der Niederlande abzulehen versucht. Allein Brunhild erinnert ihn, daß ein Dienstmann, wie reich er auch wäre, doch seines Herrn Wunsch nicht lassen dürfe, v. 2925, worauf Günther lächelnd einwilligt und Sigfrid mit seinem Weibe einladen läßt, der auch wirklich nach einer mit seinen Mannen gepflogenen Berathung, V. 3044, nach Worms kommt, wo dem köstlichen Empfange heitere Feste folgen.

Doch eines Tages rühmen beide Frauen ihre Männer gegen einander und will Brunhild den ihren, wenn sie auch dem Chriemhilds Gerechtigkeit widerfahren läßt, darum als den ersten anerkannt wissen, weil er doch Sigfrids Herr sei, was sich Chriemhild, indem sie sich damit als eine Dienende betrachtet sieht, zuerst freundlich verbittet, 3304. Brunhild aber läßt nicht nach, ihre vermeinte Würde geltend zu machen, worauf sie darin übereinkommen, beim Kirchgang ihre Rechte einander zu beweisen. Sie kommen also mit prächtigem Gefolge vor der Thür des Münsters zusammen. Die Königin hat nothwendig den Vortritt. Aber jede von ihnen ist Königin und hat also jede gleiche Berechtigung mit der anderen. Brunhild, weil Chriemhild nach ihrer Meinung ihres Dienstmannes Weib, kann und will Chriemhilds Gleichheit mit sich nicht anerkennen, sondern erblickt darin nur hochmüthige Anmaßung. Chriemhild kann eben so wenig diese Behandlung über sich ergehen lassen, sondern sieht durch Brunhilds wirkliche Anmaßung ihre Ehre auf's Höchste gekränkt. Sie schilt deswegen Brunhild für ein Kebsweib, welcher Schimpf als mit Gemeinheit befleckend den, Frau eines gemeinen Dienstmannes zu sein, bei weitem übersteigt. Brunhild fordert Beweise und nun zeigt Chriemhild Ring und Gürtel als Zeugniß auf, daß Sigfrid eher, denn Gunther, bei ihr geschlafen habe, worauf sie vor Brunhild in das Münster geht. Diese klagt die erlittene Schmach ihrem Manne, der durch sie selbst empfindlich verwundet wird. Um seine und Brunhilds Ehre wiederherzustellen und seine Schwäche unter dem Schirm der Wahrheit zu verhüllen, fordert er Sigfrid auf, selbst Zeugniß abzulegen. Dieser schwört auch vor den Burgunden, daß seiner Frau Behauptung eine Lüge sei und straft sie um ihr üppiges Reden. Dennoch ist die Ehre der Familie, wär' es auch nur mit Argwohn, besudelt. Dem Dienstmann Hagene insbesondere geht seiner weinenden Herrin Leid zu Herzen, v. 3465. Sie vertrauet sich ihm auch an und er gelobt sich ihr zum Werkzeug der Rache. Ortwin von Metz, Gernot, Gunther, nur Gieselher nicht, theilen diese Gesinnung. Das Princip ihres Handelns spricht Hagen gegen Giselher derb und scharf in den Worten v. 3481 aus: "Soll'n wir gouche ziehn?" -

Brunhilds und Günthers Rache bezieht sich nicht unmitttelbar auf Chriemhild, weil diese die schändliche That nur ausgesprochen, nicht gethan hat, sondern auf Sigfrid als den, wenn auch nicht von ihnen, doch von Andern, dafür gehaltenen Thäter. Gunther hat stillschweigend noch das Interesse an seinem Morde, daß seine Geheimnisse bei Brunhilds Erwerbung durch ihn völlig gesichert würden. Als Verwandter und Heergeselle kann er nicht selbst den Mord vollziehen. Sein Dienstmann Hagen bestimmt sich dazu. Listig entlockt er der sorglichen Chriemhild das Geheimniß, an welcher Stelle Sigfrid verwundbar d. h. nicht vom Blut des Linddrachen hörnen wäre. Sie selbst bezeichnet den Fleck auf der Schulter mit einem kleinen eingenäheten seidenen Kreuzchen, damit Hagen in einem vorgespiegelten Kriege mit den Sachsen Sigfrid im Gefecht hüten könne. Auf einer Jagd, wo Sigfrid durstig geworden war und Hagen absichtlich den Wein vergessen hatte, laufen beide um die Wette zu einem Brunnen. Sigfrid thut es arglos in voller Rüstung und legt, als er angekommen, Speer, Schwert und Bogen von sich, bis auch Gunther sich genahet. Unterdeß stellt Hagen die Waffen bei Seite und stößt den Speer, als Sigfrid zu trinken sich über den Quell bückt, ihm denselben an der verrathenen Stelle durch den Leib. Sterbend weissagt Sigfrid seine Rache. Weil mit diesem Morde Brunhilds Rache, wie überhaupt die der Gunther'schen Familie, befriedigt worden, so verschwindet sie nun als ohne weiteres Pathos. Chriemhild aber saugt aus der Trauer um den Geliebten den bittersten Haß gegen dessen Mörder, am meisten gegen Hagen, den das, im Mittelalter sogar gerichtliche, Fließen der Wunden seiner Schuld überführt, V, 4189, obwohl Gunther versichert, nicht Hagen, sondern Schächer oder Räuber hatten es gethan. Wie Chriemhild diese Beziehung als den einzig übrigen Inhalt und als das ihr unmittelbar zur nothwendigen Vollbringung aufgegebene Werk ihres Lebens festhält, so Hagen, als von nun an ihr wahrhafter Gegensatz, Alles, wodurch ihre Macht und damit die Möglichkeit einer Rache beschränkt wird, denn er weiß wohl, daß in Chriemhilds Willen nothwendig dasselbe Princip lebendig ist, was von Seiten der Gunther'schen Familie Sigfrids Mord herbeiführte. Wenn jedoch von dieser Seite die Ehre den Ausgang bildete, so ist der Mord, also die gewaltsame und unersetzliche Verletzung der Familie, ein noch viel dringenderes Motiv der Rache. Hagen bringt deswegen, um die Entzweiung des Burgundischen Königshauses in sich auszuheben, eine Sühne Chriemhilds mit ihrem Brüdern zu Stande, deren Folge vorzüglich ist, daß der Hort der Nibelungen in das Land kommt, mit welchem die Trauernde so verschwenderisch in ihrer Freigebigkeit umgeht, daß Hagene ihr den Schatz wegnimmt und endlich, mit Wissen nur seiner Herren, in den Rhein versenkt.

Als daher der König Ezel nach seiner Gemahlin Hekel Tod durch den Markgrafen Rüdeger um Chriemhild werben läßt, ist Hagen gegen den Wunsch der Könige dieser Vermählung entgegen, weil er sieht, wie durch sie dem "langrächen" Weibe Mittel zur Befriedigung ihrer heimlich genährten Rache in die Hand gegeben werden. Und wirklich ist es nur diese Aussicht und Absicht, in, welcher Chriemhild sich dem heidnischen Hunnenkinig vermählt und in welcher sie sich von Rüdegeren schwören läßt, daß er all' ihr Leid rächen wolle, v. 5045. - Sie zieht nun hin zu Ezel und lebt mit ihm sieben Jahr in sehr großen Ehren, bis das Verlangen nach Rache sie treibt, Ezel darum zu bitten, ihre Verwandte, wie einst Brunhild, zu sich einzuladen. Er thut es auch durch seine Spielleute Werbel und Swemmel und sie willfahren auch nach einer schwierigen Berathung. Die Mutter der Burgundischen Könige hat wieder einen Traum gehabt. Aber Hagen in der inneren Gewißheit seiner selbst spottet des Willens, der sich durch Traume bestimmen läßt und sagt: ich will, daß meine Herrn zu Hof nach Urlaub gehen. (V. 6053 - 56.) Die Burgunden oder Nibelungen, was von jetzt an gleichbedeutend ist, haben in Baiern einige Abenteuer. Noch einmal taucht hier in den Nixen (Meerweibern, weisen Weibern) Hadeburch und Sigelint das Ungewußte, Unbegreifliche und Wunderbare auf. Sie betrügen Hagen zuerst, sagen ihm dann aber die von ihm schon geahnte Wahrheit, in deren Gewißheit er von nun an mit äußerster Consequenz handelt, nachdem das gerettete Leben des Capellans seinen letzten Zweifel hinweggenommen. Der Mord des Donaufahrmanns zieht die Rache seiner Herrn Else und Gelfrat nach sich, deren letzterer Hagen so bedrängt, daß sein Bruder Dankwart ihn kaum noch errettet. Dagegen verleben sie in Bechlaren bei dem milden Markgrafen Rüdeger fröhliche und idyllische Tage und verlobt auf Hagens Rath der junge Giselher sich mit des Markgrafen Tochter. Keiner scheidet aus dem gastlichen Hause, ohne ihm nicht irgend wie verbunden zu werden. Als die Helden bei den Hunnen einreiten, kommt Dietrich von Bern mit seinen Amelungen ihnen entgegen, warnt sie vor dem Gemüth der Königin und verspricht ihnen von seiner Seite Friede. Chriemhild empfängt die Ihren mit einem Kuß, zeichnet aber Hagen durch feindlichen Anblick aus.

Auf ihn als den Vollbringet der unseligen That hat sie es abgesehen und durch Versprechungen bald eine Schaar von Hunnen gereizt, ihn zu tödten. Selbst soll Hagen vor ihnen das Bekenntniß seiner Schuld ablegen. Er sitzt mit Volker zusammen und bleibt, da die Königin naht, aus Haß gegen sie mit Verletzung der Sitte sitzen. Auf ihre Frage, wie er in das Land zu kommen habe wagen können, antwortet er mit seinem Verhältniß, Dienstmann der dreien eingeladenen Könige zu sein; diese Notwendigkeit habe ihn hergeführt v. 7173. fg. Als sie noch weiter in ihn dringt, gesteht er ohne Hehl, daß er ihren Gemahl erschlagen habe und jetzt, als er selbst ihr die erwartete Gewißheit mit eigenem Zeugniß bestätigt, sucht sie Schlag auf Schlag die Vernichtung ihrer Feinde herbeizuführen. Die mitgebrachten Hunnen wagen sich freilich nicht gegen die beiden kühnen Helden und den meuchlerischen Anschlag der Königin Nachts im Schlaf den Mord zu bewerkstelligen, verhindern Volker und Hagen durch ihre Wachsamkeit. Aber am anderen Tage überredet Chriemhild, nachdem Dietrich ihr die Bitte als sie wenig ehrend abgeschlagen, Ezels Bruder, Blödelin, während die Burgunden bei dem Könige speisen, das Ingesinde derselben niederzuhauen. Er selbst wird vom Marschall Dankwart erschlagen, der allein blutbedeckt zum Speisesaal entkommt, dort die Nachricht des Geschehenen zu bringen.

Sogleich heißt ihn Hagen die Thür zu bewachen, daß Niemand aus und ein könne, schlägt Ezels jungen Sohn Ortlieb das Haupt ab, was in den Schooß der Mutter fliegt, eben so dem Erzieher und dem Spielmann Werbet die Hand. Die Könige können nicht Einhalt thun und ein allgemeines Morden hebt an. Chriemhild ruft Ditrich's von Bern Hülfe an, der denn auch sich, seinen Mannen und Ezel nebst Chriemhild, die er unter dem Arm hinausführt, freien Abzug in seine Herberge verschafft, welches auch dem geliebten Rüdeger gestattet wird. Die anderen im Saale werden alle erschlagen.

Nun geht Iring, Hawarts Mann, Hagen zu bestehen, wird aber zuletzt von ihm erstochen. Sein König Hawart und der Thüringerfürst Irnfrid, welche ihn rächen wollen, erliegen ebenfalls mir all' ihrem Volk, was die Nibelungen absichtlich in den Saal einlassen. Chriemhilds Antrag, daß man ihr den verhaßten Hagen als Opfer ihrer Rache allein ausliefern und unter dieser Bedingung Friede haben solle, wird von Gernot, Giselher und Dankwart als schändliche Untreu an einem Befreundeten sogleich zurückgewiesen, V. 8509 - 8528. Unterdeß ist es Nacht geworden und die Königin läßt den Saal anzünden, ihre Feinde durch Rauch zu ersticken. Sie leiden entsetzlich, treten aber die Feuerbrände nieder, trinken nach Hagens Rath das Blut der Todten und sind, von der gewölbten Decke geschützt, am Morgen noch bei sechshundert am Leben. Nun bitten Ezel und Chriemhild Rüdegern flehentlich, die Burgunden zu bekämpfen. Er weiß als Lehensmann sich ihnen verpflichtet, aber er hat auch die Burgunden im Lande empfangen und sie zu Ezel geleitet, ja, dem einen von ihnen sogar seine Tochter verlobt. Um deswegen die Freundschaft nicht zu verletzen, will er über die Notwendigkeit sich so hinwegheben, daß er seinem Herrn Alles, was er von ihm empfangen, zurückgeben will, weil mit dem Aufhören des geliehenen Besitzes auch seine Pflicht und Treue von ihm entbunden werden V. 8780. Aber der König erinnert ihn an alle Liebe, die er bei ihm genossen und Chriemhild eben so, daß er sich endlich in die Nothwendigkeit ergiebt. Giselher, als er ihn mit den Bechlaren kommen sieht, meint erst, er wolle ihnen helfen. Als dem nicht so ist, versprechen sie, um den Geist der Familie nicht zu verletzen, einander im Gefecht zu meiden. Das Gleiche thun Hagen und Volker. Und wie sehr, es beide Theile schmerzt, sie müssen einander bestreiten, wo denn Gernot durch Rüdeger, Rüdeger durch Gernot fällt, auch alle Bechlaren umkommen und allgemeines Wehklagen sich erhebt, was bis in Dietrichs Herberge dringt, so daß er, um den bestimmten Grund des Getöses zu erfahren, den alten Hildebrand mit Wolfhart, Sigstab, Helfrich, Wolfwin und den andern Amelungen absendet. Wolfhart wird, da sie mit Trauer des edlen Markgrafen Tod erfahren und um seine Leiche bitten, von Volker gereizt. Der Streit bricht los und alle werden erschlagen, Giselher von Wolfhart, er von ihm. Von den Burgunden sind nur Günther und Hagen übrig, von den Amelungen entkommt allein Hildebrand, dem Dietrich die Kunde von Rüdegers, und der Amelungen Tod zu bringen.

Nicht durch Versprechungen gelockt, wie Blödelin, nicht durch Lust, seine Tapferkeit zu erproben, wie Iring, gezogen, nicht durch sein Vasallenverhältniß, wie Rüdeger, bestimmt, sondern in voller Freiheit, seines geliebten Heergesellen Rüdeger und seiner anverwandten Freunde Tod zu rächen, kommt er zum Kampf, V. 9430 - 44. Auch überwindet er nach hartem Ringen Gunther und Hagen, und bringt beide gebunden zu seiner Herrin, welche sie in gesonderte Gefängnisse legen läßt und von Hagen den Schatz der Nibelungen fordert, worauf derselbe erwiedert, so lange noch einer seiner Herren lebe, werde er dies nicht verrathen. Da läßt Chriemhild ihrem Bruder das Haupt abschlagen und trägt es selbst zu Hagen, der aber nun noch weniger sein Geheimniß, was nur Gott und er wisse, frei giebt, worüber Chriemhild ihm mit Sigfrids Schwert den Kopf abschlägt.

Diese ungeheure That erzürnt den alten raschen Hildebrand, diesen Meister der Zucht, so sehr, daß er der Königin wiederum das Haupt abschlägt. Ezel verhält, obwohl er am Tag zuvor einmal so in Affect gerathen, daß er gewalsam vom persönlichen Streit hat zurückgehalten werden müssen, v. 8173, sich ganz passiv und reflectirend, die Klage anhebend. Das Gedicht ist zu Ende, weil das Pathos aller Handelnden sich abgeschlossen hat. Nachdem Chriemhild den Mörder ihres Gatten gemordet, ist alle Entzweiung vergangen und hat sie ihr Inneres ausgelebt. Sie kann daher nicht länger leben und ist in diesem Kreise der Dichtung nur durch den jähen Untergang eine poetische Figur. Wie so ganz anders und in ihrer Sphäre überaus poetisch ist im Titurel Sigune's Klage um den früh ihretwegen gemordeten Geliebten. Sigune wendet sich nicht nach Außen, sondern nach Innen, ja gegen sich selbst, woran Chriemhild gar nicht denkt, sondern ganz und gar von der Nothwendigkeit der Rache ihres Geliebten an seinem Mörder erfüllt und von diesem unmittelbar sittlichen Geist der Familie eben so ausschließlich, als Hagen vom Geist der Treue gegen seine Herrschaft, beseelt ist.

Quelle: Das Heldenbuch und die Nibelungen, Karl Rosenkranz, Halle 1829, S. 59ff
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