259. Leute ohne Redsprach.

In Obersteier war in einer Gegend ein Geistlicher, ein gar eifriger und frommer Herr, der viele junge Leute beiderlei Geschlechtes in reiner Unschuld zu erhalten wußte. Deshalb wurden ihm mehrere schlechte Burschen aufsässig, paßten ihm auf und warfen ihn in eine tiefe Grube, wie es deren im Gebirge gar viele gibt. Er fiel tief, sehr tief, kam aber doch glücklich auf dem Boden an und ging da unten gleich weiter.

Er kam zu einer Wiese, wo viele Leute das Heu zusammenrechten und dabei sehr schwitzten. Der Geistliche fragte sie, wo sich die nächste Pfarrkirche befinde. Die Leute deuteten mit dem Finger die Richtung an, welche er weiter verfolgen müsse, doch sprachen sie keine Silbe. Darauf ging er weiter und sah Leute, sogenannte Kottrager, welche Erde zu einem Rain hintrugen und dabei stark schwitzten. Diese fragte er gleichfalls um den Weg zum nächsten Pfarrhofe, erhielt aber ebenfalls keine Antwort, sondern es wurde ihm blos mit dem Finger gedeutet. Darob verwunderte sich der Geistliche sehr und dachte sich, er sei in einer Gegend, in der man nichts deutsch verstehe.

Er ging weiter und kam endlich zu einer Straße, auf der viele Fuhrleute daherfuhren; ihre Wägen waren schwer beladen, und sie schwitzten und keuchten bei der Arbeit, das Fahrzeug weiterzubringen. Auch diese sprachen nichts und deuteten nur, als sie um Auskunft gebeten wurden.

Endlich sah der Geistliche einen Kirchturm und ging darauf zu. Als er zum Pfarrhof kam, sah er die Wirtschafterin unter der Tür stehen, die Hände in die Seiten gespreitzt, und als der Geistliche sie fragte, ob der Herr Pfarrer zu Hause sei, deutete sie ebenfalls, ohne ein Wort zu reden, nach der Wohnung des Pfarrers, die im oberen Stocke lag. Der Geistliche stieg die Treppe hinan und klopfte an die Tür, und da sich Niemand meldete, so trat er gleich ein in das Zimmer.

Nun sah er den Pfarrer im Bette liegen, der ihn auch sogleich anredete und ihn fragte, wie er denn da hereinkäme. Der Geistliche erzählte nun, was ihm Alles widerfahren und ersuchte um Auskunft, wie er am schnellsten und leichtesten wieder in seine Pfarre zurückkommen könnte. Da fragte ihn der Pfarrer, ob er denn nicht wüßte, wo er jetzt wäre. Der Geistliche verneinte die Frage. Der Pfarrer hieß ihn nun, die Hand unter das Kissen zu tun. Jener tat es, zog aber gleich wieder die Hand zurück, denn es war da ganz heiß. Nun fragte der Pfarrer nochmals, ob er es noch nicht wüßte, wo er sich befinde, und als der Geistliche abermals verneinte, sagte er: „Ihr seid im Fegfeuer!“ Dieselben Leute, welche auf der Wiese das Futter zusammenrechten, haben bei Lebzeiten stets an Sonn- und Feiertagen auf Wiesen geheugt *), die Kottragcr waren „Roanschindcr“, die übern Rain gebaut, die Fuhrleute haben auch Sonntags unter der Zeit des Gottesdienstes gefuhrwerkt, die Wirtschafterin, die stand lieber unter der Haustüre und schaute den Leuten nach, anstatt in die Kirchen zu gehen, und ich als Pfarrer lag lieber im Bette, als die heilige Messe zu lesen. Darauf hieß der Pfarrer den Geistlichen wieder auf demselben Weg, den er gekommen, zurückzugehen, er würde dann schon nach Hause finden.

Der Geistliche ging und fand richtig heim, aber Alles war ihm fremd und die Leute kannten ihn nicht. Auch im Pfarrhofe sah er ganz fremde Gesichter, Da sagte er einer alten Dirne, man möge in dem alten Kasten, der in der Laben **) draußen steht, nachsehen, ob nicht vielleicht eine alte Schrift zu finden wäre, die über ihn Auskunft geben könnte. Man sah nach und fand richtig eine solche Schrift, die da besagte, daß in diesem und jenem Jahre ein Geistlicher mit Namen so und so aus dem Orte verschwunden, ohne daß man wußte, wie und wohin er gekommen. Als man nachzählte, ersah man, daß seitdem 700 Jahre vergangen waren.

Nach drei Monaten darauf starb der Geistliche.

Nach Anton Meixner:
„Des Volkes Sagen und Gebräuche.“

*) Heugen - Heumachen.
**) Laben - Vorhaus.

Quelle: Johann Krainz, Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande, Bruck an der Mur 1880.
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