29. [Die Todtenkugel]
In der Umgegend von Preßburg will man die s. g. Todtenkugel gesehen haben, da wo ein Sterbefall bevorsteht.
Ein alter Mann erzählte mir folgendes:
Als ich eines Abends am Krankenbette meiner Tochter saß, stürzte
von der Decke des Zimmers ein schwerer Körper auf den Warenkasten,
von dort auf den Tisch, warf mehrere Gläser herunter ohne sie zu
beschädigen, und fiel endlich mit Getöse auf den Boden.
Ich stand von meinem Stuhle auf und wollte nachsehen, was geschehen wäre.
Aber nirgend fand ich eine Spur von dem gefallenen Gegenstande. Darüber
beruhigt, setzte ich mich wieder auf meinen vorigen Platz. Ich war noch
nicht lange da gesessen, als sich unter dem Bette meines Kindes etwas
vernehmen ließ, welches den schnurren eines Spinnrades ähnelte.
Ich blickte unter das Bett und bemerkte eine schwarze Kugel, welche sich
drehte. Jetzt siel mir die Erzählung meiner Großmutter ein,
und ich flüchtete mich mit meinem Sohne auf einen nahen Stuhl. Kaum
standen wir auf demselben, als die Kugel hervorkam und das ganze Zimmer
durchkreiste. Dann lief sie wieder unter das Bett, und eine schauerliche
Stille trat ein. Endlich wagte ich es, vom Stuhle herab zu steigen und
unter das Bett zu sehen, wo die Kugel hingekommen sei; aber sie war und
blieb verschwunden, und nie war von derselben eine Spur zu finden. Von
dieser Zeit an verfolgte mich immer das Bild dieser Kugel, und ich wich
Tag und Nacht nicht von dem Bette meiner Tochter, bis sie am dritten Tage
starb. Seit dieser Zeit glaube ich an die Todtenkugel.
Quelle: Mythen und Bräuche des Volkes in
Österreich. Theodor Vernaleken, Wien 1859. S. 105f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.