26. [Die Seebergjungfer]
Geht man von Eisenberg (am Erzgebirge) auf dem Fußwege nach der
Hütt' und nach dem Dorfe Kunersdorf, so kommt man aus dem Walde auf
die Heide, die sich von Eisenberg bis gegen Kunersdorf, und vom alten
Seeberg bis hinab an die Straße ausbreitet. Der untere Theil besteht
aus schönem Wiesengrunde, den man nur die "Hoderwies" nennt.
Neben dem Eisenberger Walde liegt ein kleiner stark mit Schilf bewachsener
Teich der "Hoderwiesteich" genannt. Gegenüber demselben
einige hundert Schritte aufwärts quillt aus steinichtem Boden ein
Bächlein. Diese Quelle hält sehr gutes Wasser, welches immer
rein und kühl ist, und heißt das "Quackbrünnl".1)
Vor Zeiten kam oft die Seebergjungfer herab, um sich in dem Teiche
zu baden. Die Hütbuben, welche das Vieh auf der Haderwiese weideten,
sahen sie oft dahin kommen. Sie war halb Fisch und halb Mensch. Einstmals
war nur ein Junge auf der Wiese. Da stund auf einmal die Seebergjungfer
vor ihm und fragte, ob er sie wohl erlösen möchte, sie wolle
ihm so viel Geld geben, daß er die Haderwiese kaufen könne.
Der Junge war damit zufrieden. Hierauf sagte sie ihm, er solle sich jetzt
vom Teiche entfernen, und nicht eher kommen, als bis sie ihm winken würde.
Wenn er ohne Erlaubnis komme, so werde es ihm nicht gut gehen. Der Hütjunge
lief eiligst weg, und während er nach seinem Vieh sah, badete sich
die Seebergjungfer in dem Teiche. Als sie fertig war, winkte sie dem Hütjungen.
Der kam und schimpfte und warf mit Steinen nach ihr. Weinend kehrte sie
nach dem Seeberge zurück und in der folgenden Nacht hörte man
sie bis hinab nach Barthelsdorf weinen und jammern. Lange Zeit kam sie
nicht mehr um zu baden.
Auch erschien sie den Leuten oft in Gestalt eines alten Weibes.
Eines Tages gieng ein Weib von Eisenberg in den "Busch", um
Holz einzuführen. Als sie am Seeberge ankam, ihre Huck (ein Bündel
Äste) niedersetzte und Holzstücke "aufklaubte", sah
sie ein altes Weib, welches ihrer Arbeit mit Aufmerksamkeit zusah. "Wohin
geht Ihr?" fragte das Eisenberger Weib. "In's Gebarch'sche!"2)
antwortete die Alte und verschwand vor den Augen des Holzweibes. Diese
hatte aber gesehen, daß sie hinter sich einen Fetzen von ihrem Kleide
nachschleppte; es war also die Seebergjungfer gewesen.
1) Was man in Niedersachsen Quickborn nennt.
2) In's Gebarch'sche, d. h. in's Gebirg'sche, über's Gebirg.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 197f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.