25. [Das Seeweibchen]
Weibliche Wassergeister kommen in Österreich verhältnismäßig
wenig vor. Folgende Sagen mögen hier Platz finden.
Unweit Nepomuk befindet sich ein kleiner See, der mit Erlengebüschen
bewachsen ist, und von einem Wasserfräulein bewohnt ist. Ein Bauernbursche
gieng in einer mondhellen Nacht am See vorüber und sah das Weibchen,
wie es auf zwei Schwanen saß mit einem sehr langen Schilfrohr in
der Hand, langen herabwallenden Haaren, mit weißem Kleide und einem
Blumenkranz auf dem Haupte. So schwamm es nahe am Ufer. Als es den Burschen
erblickte, brach es einen Erlenzweig und warf ihn an's Ufer. Der Bursche
staunte über die schöne Gestalt, nahm den Zweig und eilte nach
Hause, ohne jemand etwas davon zu sagen. Am andern Morgen fand er, daß
der Erlenzweig von besonderer Schönheit war und wie Silber glänzte.
Um seine Verlobte endlich als Braut heimzuführen, verkaufte er den
Zweig. Am Hochzeitstage aber trat das weiß gekleidete Weibchen mit
einem zwergartigen Knappen zur Thür [Tür] herein, schritt feierlich
auf die Braut zu, nahm eine Perlenschnur vom Halse und hängte sie
der Braut um. Dann entfernte sich das Weibchen wieder, die Perlen und
die Wasserspuren ihres Kleides zurücklassend. Da nun unter dem Bauernvolke
der Glaube herrscht, Perlen bedeuten Tränen, so wurden die Perlen
sogleich dem Muttergottesbilde der Kapelle am See geopfert.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 196f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.