29. [Der Sühnteichhirte]
Vor mehreren Jahrhunderten lebte in Reiwiesen bei Zuckmantel (in Schlesien)
ein Bauer, der einen sehr ungenügsamen Viehhirten hatte. Eines Tages
sollte dieser wie gewöhnlich das Vieh des Bauern auf die Weide treiben
und der gab ihm ein Stück trockenes Brot mit. Mit dem Brote allein
war aber der Hirt nicht zufrieden und wollte Butter dazu; weil er aber
keine erhielt, so trieb er voll Zornes das Vieh auf die bestimmten Felder.
Daselbst angekommen warf er das Brot auf die Erde, fluchte und schimpfte
und hieb es so lange mit seiner Peitsche, bis Gott diesem Gräuel
ein Ende machte. Die Felder, auf welchener sich mit seinem Vieh befand,
wurden in einen sumpfigen Teich ("Moseteich") verwandelt; der
Hirte verschwand und wurde, den Menschen zur Plage, auf immer in diesen
Teich gebannt.
Wenn Reisende oder Graser in die Nähe seines Aufenthaltes kommen,
oder ihn gar bei seinem Namen rufen, so verführt er sie in seinen
Teich.
Vor mehreren Jahren wollte ein Weib aus Ober-Thomasdorf ihrem Manne, der
in der Umgegend von Reiwiesen Holz schlug ("machte") das Essen
zutragen. Da erschien ihr unterwegs der Seehirte in Gestalt eines Weibes,
dessen Gesicht mit einem weißen Tuche verhüllt war. Sie ließ
sich gleich mit ihr in ein Gespräch ein, und da sie auch des nämlichen
Weges gehen muste, so war es dem Weibe aus Thomasdorf sehr lieb, daß
sie an jener eine Gefährtin erhielt. So giengen sie eine lange Strecke
miteinander. Der verkleidete Hirt aber führte sie auf einen irren
Weg durch Gesträuch und Gestrüpp. Auf einmal verschwand das
vermummte Weib, und die Bäuerin sah sich mitten im Gestrüpp
und wuste keinen Ausweg zu finden. In großer Angst irrte sie bis
gegen den Abend auf den Gebirgen umher. Schon ganz ermattet konnte sie
kaum mehr gehen und der Gedanke, aus den Wäldern sich nicht mehr
herauszufinden, ängstigte sie immer mehr, bis ihr endlich ein "Holzmacher"
begegnete, der sie auf dem rechten Wege wieder nach Hause führte.
Auch heißt es, daß der Teich unterirdisch mit dem Weltmeere
in Verbindung sei, und daß er am jüngsten Tage die ganze Umgegend
unter Wasser setzen werde.
In den Dörfern Saubsdorf, Sandhübel und auch in Reiwiesen selbst
sagt man, es sei einst dort eine Stadt gestanden, Welche untergesunken
sei. - Auch soll der Teich eine Tiefe haben, welche man bis jetzt durch
die längsten Schnüre, welche an dem einen Ende beschwert wurden,
nicht ausmessen konnte.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 153f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.