23. [Die Springwurzel und der Schwiegersohn]
In einem Dorfe des nördlichen Böhmens lebten arme Eheleute
mit einer einzigen Tochter, Sie hatten einen Mehlladen und der Mann muste
die schwersten Arbeiten verrichten. Eines Abends saß er in einem
Wirtshause, wo Hirten und Bauern sich Geschichten erzählten. Ein
Hirt erzählte unter anderm: Heute vor einem Jahre ließ ich
meine Herde über Nacht auf der Weide und schlief dabei ein. Da hörte
ich plötzlich ein Geräusch, welches mich aufweckte und zu meinem
Schrecken sah ich vor mir eine Gestalt in weißen Kleidern. Diese
sprach zu mir: Lange Jahre war ich im Riesengebirge an einen Schatz gebannt,
jetzt ist er unbewacht und du kannst ihn mittels einer Springwurzel heben.
Als das der Mehlhändler hörte, rückte er sachte seinen
Stuhl dem Erzähler näher. Der Hirt fuhr weiter fort: Ich habe
den Schatz noch nicht gehoben, denn es fehlt mir die Springwurzel und
der Muth zu dem Unternehmen. Die Springwurzel, sprach ein Bauer, kannst
du leicht haben: Suche nur im Frühjahre das Nest eines Spechtes auf,
breite ein rothes Tuch unter den Baum und wenn der Specht kommt, so erschrecke
ihn. Dann läßt er die Springwurzel fallen. Der Mehlhändler
hatte kein Wort gesprochen; er zahlte und gieng dießmal fröhlich
nach Hause, weil er den Schatz im Frühjahre zu heben gedachte. Als
der Frühling kam, suchte er das Nest eines Spechtes, breitete sein
rothes Tuch darunter und als der Specht kam, klatschte er voll Freude
in die Hände, worüber der Vogel so erschrack, daß er die
Springwurzel fallen ließ. Jetzt nahm der Mehlhändler die Springwurzel
und eilte froh nach Hause. Eins nur fehlte ihm noch um den Weg antreten
zu können, nämlich das nöthige Geld, und schnell entschloß
er sich die Kraft der Springwurzel an der Geldlade seiner Frau zu erproben.
Er nahm alles Geld heraus und eilte davon. Als die Frau nach Hause kam
und die erbrochene Lade sah, erschrack sie und wuste sich das nicht zu
erklären. Als aber ihr Mann spät Abends, ja selbst des andern
Tages nicht kam und nirgend zu finden war, hatte sie Verdacht auf ihn.
Dieser hatte sich mittlerweile in das Riesengebirge begeben, um die vom
Hirten genau beschriebene Stelle zu finden, was ihm auch nach einigem
suchen gelang. Voll Begierde gieng er in die Felsenhöhle, öffnete
mittelst seiner Springwurzel ein Thor nach dem anderen, bis er endlich
zu den Schätzen gelangte. Hier nahm er so viel als er in ein mitgenommenes
Fässchen bringen konnte. Dieß hatte er vorher oben und unten
mit Nägeln beschlagen. Dann gieng er fort, vergaß aber die
Springwurzel. Er konnte dieselbe auch nicht mehr holen, weil das innerste
Thor sich hinter ihm schon geschlossen hatte. Während der Vater so
mit seinem Schatze beschäftigt war, hatte das Töchterlein zu
Hause mit einem sehr braven und hübschen aber auch sehr armen Burschen
Bekanntschaft gemacht, und in Abwesenheit des Vaters hatte jener um die
Hand der Tochter gebeten. Wegen seiner Armut ward er aber von der Mutter
abgewiesen. Tief betrübt beschloß der junge Mensch in die Welt
zu gehen, Geld zu verdienen und dann zurückzukehren um noch einmal
anzufragen. Als der Mehlhändler einige Stunden von seinem Heimatsorte
entfernt war, begegnete ihm ein junger Mann, welcher sehr traurig schien.
Der Alte fragte ihn, weshalb er so traurig sei. Der Bursch erzählte
nun dem Alten alles was unterdessen vorgefallen war. Der Mann erkannte
bald, daß von seiner Tochter und seinem Hause die Rede war. Voll
Freude mit seinem Schatze jemanden glücklich machen zu können,
gab er dem jungen Manne Geld mit dem Rathe sogleich umzukehren und zu
versuchen, ob seine Bewerbung jetzt nicht günstiger aufgenommen würde.
Und in diesem Falle sollte er ihm Nachricht geben, damit er aus der Stadt
die Ausstattung der Tochter besorgen könne. Freudig eilte der junge
Mann in das Dorf zurück und nachdem er der Frau das Geld gezeigt
hatte, wurde sogleich der Tag der Hochzeit bestimmt. Vor dem Hochzeitstage
nun kamen zum Erstaunen des ganzen Dorfes eine Reihe Wagen voll Möbeln
u. dgl, und alle Leute staunten über solchen Reichtum des Schwiegersohnes
und wünschten dem Mädchen Glück. Am Hochzeitstage kehrte
auch der Alte mit seinem Fässchen heim. An der Hausthür kam
ihm seine Frau entgegen und sagte: Wir haben einen reichen Schwiegersohn,
deshalb verzeihe ich dir, daß du so lange ausgeblieben bist. Darauf
sagte er: Sieh her, ich habe mir ja auch ein Fässchen Nägel
verdient.
Quelle:
Mythen und Bräuche des Volkes in Österreich. Theodor Vernaleken,
Wien 1859. S. 141ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Claudia Hackl, März 2005.