Die Grabschänder

Der alte Holzer am Arzbach hatte einen Erdspiegel. Der war in der Woche vor St. Veitstag aus siebenerlei Metallen und einem eingetrockneten Jungfernpergament zusammengegossen, nachher mit einer Pfaufeder und dem Blut einer jungen weißen Taube mit allerhand seltsamen Zeichen beschrieben worden. Damals hatten es der Holzer und noch etliche Kumpane auf die Kasse des Rentamtes zu Tölz abgesehen. Damit ihnen niemand ankonnte, wollten sie sich den zweiten linken Finger einer reinen Jungfrau verschaffen, wie ja auch die Wildschützen und Diebsleute sich auf solche Weise oder mit dem Nagelglied eines unschuldigen Kindes kugelfest und unsichtbar machen. In der Mitternachtsstunde schaufelten sie das Grab auf und hielten bei der Arbeit den Erdspiegel vor sich. Aber der Teufel stand vor ihnen und schaute ihnen aus dem Spiegel zu. Wie sie ihn sahen, ließen sie ihr Werkzeug im Stich und liefen davon.

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In den achtziger Jahren wollten in Tölz etliche unheimliche Leute das Grab einer reinen Jungfrau aufmachen, weil sie glaubten, mit einem Glied des Leichnams große Reichtümer zu gewinnen. Sie
wurden aber versprengt.

Quelle: Sagen aus dem Isarwinkel, Willibald Schmidt, Bad Tölz, 1936, 1979;