Die Durlhexe von Hohenwiesen

Zur Zeit, als Lenggries noch zur Pfarrei Gaißach gehörte, war in Hohenwiesen auf dem Bachmairanwesen eine Hexe, die Durl. Die konnte Gold machen. Sie war die Tochter eines reichen Bauern und eine revierische Person. Kein Mensch weiß, wie sie hinter das böse Wesen gekommen ist. Am Lichtmeßtag gingen einmal die Kirchenleut auf dem Weg zur Wachsweihe in Gaißach am Haus der Durl vorbei. Sie war noch ganz im Werktagsgewand und räumte das Haus zusammen, wie wenn sie gar nicht ans Kirchengehen denken wollte. Die Leute schrien ihr zu: "Nicht gar zu fleißig! - Schleun dich, daß du nicht zu spat kommst!" - Sie ließ sich aber nicht irr machen und meinte lachend: "Geht nur ihr voran, ich komm schon noch recht. Z' Venedig ham's grad das ander g'läut." - Wie sie schon bei der Hirschbruck gleich ober Lenggries war, merkte sie, daß sie das Wachs vergessen hatte. "Muß glei nach Venedig und 's Waxl hol'n!" und war auf und davon. An der Kirchentür in Gaissach holte sie die andern ein und kam noch recht zur Wachsweihe.

Der Krautenkaspar von Arzbach ist einmal mit der Durlhex auf dem Nudelmolter gefahren, aber arschlings aufgesessen, sonst wäre er erstickt, so schnell ist es gegangen.

Heut noch sagt man im Isarwinkel zu einem, der es recht pressant hat: "Du fahrst ja dahin wie die Durl von Hohen wies!" und wenn man fragt: "Was ist 's denn mit der?" kann man die Antwort kriegen: "Die ist in einer Stund auf Venedig hin und her." Beim Lainer haben s' öfter Butter gerührt, über zwei Stunden, aber keinen Butter zusammengebracht. Da sahen sie, wie die Durl an ihrem Haus vorbeiging. Sie trug etwas in ihrem Fürtuch und schrie herüber: "Nachbarin, plag dich nicht! Deinen Butter hab ich schon lang im Fürtuch innen!"

Die Durl konnte die Kühe von der Stube aus melken. Sie band dann einen Schuhriemen an den Ofenfuß und fuhr strichweise daran herab.
Einmal hat sie sogar in der Stube regnen lassen, als es ihr die Mutter erlaubte.

Ein andermal saß sie auf einem großen Tannenbaum bei Gmund und wollte über die Tegernseer Gegend Hagel ausschütten. Da fingen die geweihten Glocken zu läuten an und bannten sie so fest auf den Baum, daß sie nicht mehr wegfliegen konnte. Nachher sagte sie: "War die große Schell'n von Gmund, der Kotbauer von Eck und 's Goaßglöckl in Ried nit g'wesn, i hätt' alles in Boden nei-g'schlag'n!" oder, wie andere sagen: "Wären die drei Glocken nit g'wes'n, i hätt' diesmal alles in Boden neigschlag'n lassen; 's Goaßglöckl in Ried nutzt nix."

Ein Weber, der auf der Stör in Hohenwies war, sah der Bäuerin zu, wie sie die Ofengabel schmierte und mit den Worten "Hui aus und ninderscht ani!" zum Kamin hinaus fuhr. Da nahm er ihre Salbe und probierte sie ein bißchen an seinem Webstuhl. Als der aber anfing, sich vom Fleck zu rühren, hörte er voller Schrecken gleich wieder auf.

Ein andermal war der Schneider mit seinem Gesellen und dem Lehrbuben auf der Stör. Da stellte ihnen die Durl eine Flasche Apfelschnaps auf den Tisch und sagte:

"Grüß Gott, Meister, Gesell und Bua,
Macht die Stubentür zua.
Jetzt geh i gleich auf d'Dull'n
Und will den Haar herabhol'n;
Brechen, schwingen, hecheln und spinnen
Und meinen Schneidern den Zwirn davon bringen.
Trinkt derweil ein Glasl Schnaps!"

Ehvor aber diese ihr Glasl ausgetrunken hatten, kam sie schon mit dem Zwirn zum Nähen.

Am meisten hat die Durlhexe die Leut mit dem Wettermachen geplagt, bis sie es nicht mehr aushalten wollten. Der Amtmann in Hohenburg konnte ihr lang nichts anhaben, wie ein Wiesel wußte sie ihren Verfolgern zu entwischen; aber endlich wurde er ihr doch Herr. Beim Bachmair zeigte man noch lange den Tisch, an dem sie von den Schergen verhaftet wurde und den Riß in der Mauer, der entstanden ist, wie s' die Hex erwischt haben. Eines Tages sprach der Amtmann mit mehreren Mannsbildern in Hohenwies zu und die Durl bewirtete sie wie andere Gäste auch mit Apfelschnaps und Brot. Weil keiner ein Messer im Sack haben wollte, hielt sie ihnen das ihrige hin - da wurde sie schnell bei den Händen gepackt. Mit dem rundscheibigen, feichtenen, alten Tisch haben sie s' in dem Winkel, wo sie hinter dem Tisch gesessen ist, gegen die Mauer drückt. Wenn aber der Tisch nicht aus einerlei Holz gewesen wäre, hätten sie die Durl nicht bekommen. Dann haben sie ihr die Hände gefesselt und sie auf den Wagen geworfen. Alle Zauberer und Hexen tragen ein Teufelsmal; deswegen fragte sie der Amtmann, wo sie gemerkt sei. "Unter der Zunge", sagte sie. Als sie auf dem Floß zum Urteil nach München gebracht wurde, kamen sie an einem Wurzelstock vorbei, der draußen frei am Ufer stand. Da sagte sie: "Den hab ich oft meinem Mann ins Bett gelegt, daß er gemeint hat, ich war da; derweil bin ich auf und davon gefahren." Am Almbach hat sie dann durch das Feuer das Zeitliche mit dem Ewigen vertauscht. Ihre Asche wurde am Wendel im Grenzet im Holz vergraben.

Die Hexe von Hohenwies ist aber doch der Seligkeit teilhaftig geworden. Aus dem Feuer, in dem sie verbrannt wurde, haben die
Leute ein weißes Vöglein auffliegen sehen. Und in ihrem Testament hatte sie versprochen, ihrer zuerst heiratenden Tochter ein Himmelszeichen zu geben, wenn sie ein Kind der Seligkeit würde. Wirklich hat sich an diesem Tage um zwei Uhr in der Früh ein auffallender Stern blicken lassen.

Die Richtstätte war durch eine Kapelle bezeichnet. Später ist dort eine Martersäule gesetzt worden.

Quelle: Sagen aus dem Isarwinkel, Willibald Schmidt, Bad Tölz, 1936, 1979;