116. Zauberbuch in unrechten Händen.
1.

Der alte Joseph Waldvogel in Umwangs besaß ein Zauberbuch, mit dem er allerlei Zaubereien ausführen und jederzeit den Teufel herbeibeschwören konnte. Als er einmal am Sonntag vormittags in der Kirche war, fiel ihm ein, er habe vergessen sein Zauberbuch einzuschließen. Da ließ ihm der Gedanke, die Magd könnte etwa unterdessen dahintergekommen sein, keine Ruhe, und er eilte noch während des Gottesdienstes schnell heim. Richtig war es auch so, wie er gefürchtet. Die Magd las in dem Buch, und schon war der Teufel in der Stube und wollte sich der Lesenden bemächtigen. Um nun den Bösen aufzuhalten und so viel Zeit zu gewinnen, daß er das Gelesene rückwärts lesen könne, holte er schnell ein Imen Leinsamen "vom Tennen" herein, streute denselben auf den Boden und befahl dem Teufel, alle Leinkörnlein bis auf das letzte genau zu zählen; er dürfe sich aber um keines verzählen. Während nun dieser den Leinsamen zählte, las der Bauer das Kapitel im Buche rückwärts, und als endlich jener fertig war mit Zählen, und sagte, so und soviel seien es, erklärte der Bauer, er habe sich um drei verzählt; er solle einmal unter den Krallen nachsehen, da steckten die drei, die er nicht mitgerechnet habe. Wirklich war es so, und nun konnte der Teufel leer abziehen, und die Magd war gerettet.

2.

Der alte Stoffelsmüller in Wilhams besaß ein Hexenbuch und konnte mit demselben jederzeit den Teufel herbeizaubern. Als er einmal in Missen in der Kirche war, fiel ihm während der Wandlung ein, er habe sein Büchlein nicht eingeschlossen. Da eilte er schnell heim, daß die Kinder nicht etwa das Büchlein, in die Hände brächten. Als er sich dem Haus näherte, hörte er wildes Gepolter und Geschrei, und richtig saß auch schon der Schwarze mitten unter den Kindern. Der Müller fragte, was er da wolle. "Ja, die Kinder, die in dem Buche gelesen hätten." Da hatte der zauberkundige Müller hohe Zeit, den Teufel wieder aus dem Hause zu bringen, indem er das Gelesene rückwärts las.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 116, S. 123 - 125.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.