239. Die Wildfängl im Hintersteiner Tal.

Vor uralten Zeiten hausten noch in den Schrofen und auf den Berggehängen des Hintersteinertales Wildfängl; die waren ganz haarig am Leibe und rauhen und feindlichen Sinnes gegen die Talbewohner. Sie brachten diese allweg zu Schaden, stellten ihnen oft nach, ja bedrohten sogar oft ihr Leben.

Da trug es sich einmal zu, daß einige Hintersteiner am Erzberg, wo tief unten im wilden Tobel der Erzbach fließt, Holz spalteten. Während sie im Begriffe waren, einen großen schweren Baumklotz zu klieben und in denselben schon eine große "Bisse" (Keil) eingetrieben hatten, kam da ein Wildfängl herbei und sah ihnen bei der Arbeit zu. Da sagten die Holzer, sie gäben ihm das und das, wenn er die Hände in den klaffenden Spalt täte und etwas mithelfe, und nun ließ sich der Wildfängl hiezu bereden und streckte die Hände in die Spalte. Sogleich schlugen die andern den Keil los, und der Klotz klappte zusammen und klemmte des Wildfängls Hände gar jämmerlich ein, daß der zu heulen und zu schreien begann. Allein die Holzer hatten mit dem Gefangenen kein Erbarmen und rächten sich für all die Untaten, die die Fängl schon verübt hatten, damit, daß sie den großen Klotz mitsamt dem Eingeklemmten in das steile, tiefe Tobel hinabspringen ließen. Von da an waren die Wildfängl im Hintersteiner Tale verschwunden und wurde keiner mehr gesehen.


Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 239, S. 249.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.