21. Das Walsermännle.

Im Walsertal hat früher längere Zeit das Walsermännle sein Wesen getrieben, so daß die Leute oft viel "Plag und Läst" damit hatten. Es warf an Sonn- und Feiertagen oftermalen Sand und Steine gegen die Kirchgänger oder machte sich auf der Straße durch Murmeln, Pfeifen und Klatschen auf belästigende Weise bemerkbar, ohne daß man es selbst sehen konnte. Am ärgsten trieb es das Männle indes in den Häusern selbst. So meldete es sich gegen Ausgang des Jahres 1772 im Straußberg der Pfarrei Riezlern bei der Witwe Katharina Elsässerin. Es nahm ihr die Milch im Stalle, verhinderte die Hausgenossen bei der Arbeit, und wenn man des Morgens gemeinschaftlich bei einer Pfanne Mus zu Tische saß, kam es heimtückisch herbei und blies dann so stark in die Pfanne, daß der heiße Brei oft zu allen Seiten hinausflog. Dabei blieb es allen unsichtbar, nur dem einzigen neunjährigen Sohne der Witwe nicht, der es dann jedesmal kommen sah und rief: "Jetzt kommt das Männle wieder und will blasen!" Und richtig war dann auch immer gleich die Bosheit geschehen, mit der es die Tischgenossen necken und zugleich dem Büblein das auf dem Muse schwimmende Schmalz zublasen wollte. Diesem war es nämlich auch sonst sehr zugetan, scherzte oft mit ihm, und wenn die Mutter es je einmal strafen wollte oder es mit der Rute bedrohte, so wollte dies das Männle nicht leiden, wurde zornig und schlug dann gewöhnlich eine Fensterscheibe ein. Einmal verlangte es von der Witfrau Honig, und als nun diese sich ausredete, sie habe "keines", erklärte das Männle aufgebracht, sie lüge, denn sie habe ja solches in einem Hafen auf der obern Kammer in einem Trog eingeschlossen, und so war es in der Tat.

Niemand konnte sich enträseln (sic!), wie das Männchen hievon Kenntnis haben konnte, da der Trog doch stets verschlossen geblieben war. Endlich verschwand es nach vielen Bemühungen des Geistlichen aus dem Hause und machte sich nun auf der Straße bemerkbar. So hörte es Christoph Bader, ein unerschrockener Mann, der lange preußischer Soldat gewesen war, einmal auf der Landstraße "batschen und pfiferlen", und ein Kamerad desselben merkte es kurz darauf, als er von Oberstdorf herkam, plötzlich mit solcher Schwere auf seinem fast leeren Schlitten sitzen, daß er denselben fast nicht mehr vom Platze zu ziehen vermochte, bis das Männle wieder absprang und das Gefährte darauf so leicht ging wie vorher.

1773 in der Fasten machte es sich bemerkbar bei Victorin Müller in Bödmen, und zwar durch Zuschlagen eines "Stubenladens"; den folgenden Tag schlug es zwei, den dritten drei, endlich alle auf einmal miteinander zu. Obwohl der Victorin dann jedesmal schnell hinaus und um das Haus herumsprang, konnte er doch nie das Männle sehen oder im Schnee Spuren davon entdecken, und nur einmal sah er die Form einer Hand in den Schnee geschlagen.

Später machte dann das Männle öfter die Fenster auf und langte von außen herein, ja einmal klopfte es der Tochter des Hauses auf die Achsel, daß es alle Anwesenden hörten, doch nicht sehen konnten. Auch zerbrach es öfters Fensterscheiben, daß sie zuweilen mehr als hundert Sprünge zählten, ohne daß jedoch je einmal ein auch nur "glufenknopfgroßer" (stecknadelkopfgroßer) Splitter "aus dem Blei" gefallen wäre.

Am meisten aber setzte es einem "angenommenen" Kind zu, das man in dem Hause aufzog. Es packte dasselbe an einem Abend unbarmherzig an, verkrümmte, umwarfe, verunstaltete es dermaßen, daß es wegen zerraufter Haare, bleichen Angesichts, eingefallener Augen mehr einer Leiche als einem Menschen glich. Es entstand dabei ein entsetzliches Zetergeschrei, dem eines abgestochenen Schweines nicht unähnlich, auch ein solches Gepolter, daß das ganze Haus erschüttert wurde. - - Der unwerte Gast verfolgte das Kind schier beständig; bald warf er es zu Boden, bald zog er es unter einen Kasten, Trog usw., er plagte es sogar in dem Bett. Ja er wagte sich schon an die, bei welcher das Kind lag. Er zwickte die Haut und verzerrte ihre am selben Abend neu geflochtenen Zöpfe so, daß kein Haar mehr beim andern blieb. Nach Verlauf eines halben Jahres wurde er freundlicher. Er ließ mit Gewalttätigkeiten nach, fing auch zu reden an. Er hatte anfangs eine grausliche, bald aber die Stimme des Kindes. Man hörte es, ohne am Kind die mindeste Bewegung der Lippen zu bemerken. Er erzählte Verschiedenes aus abgelegenen Häusern. Fast jedes Wort wäre fähig gewesen Zwietracht zwischen Freunden zu stiften.

Den Neugierigen war unser kleiner Walser niemals hold. Er schickte sie gewöhnlich mit kräftigen Ohrfeigen und empfindlichen Stößen nach Hause. Er trieb seine verdrießlichen Spaße nicht nur im Hause in Bödmen, sondern begleitete das Kind in die Gunschau (den Auszug in die Sommeralpe) und fast an alle Orte. Das Kind sah ihn allein in Gestalt eines verzwergten Bettlers. Es wurde von ihm allzeit beredet, daß es das Nährhaus verlassen solle; auch die Hausleute hörten vielmals sagen, sie müssen das Kind entlassen, es sei ansehnlich und tauge in eine verführerische Gesellschaft. Die leiblichen Eltern kamen auch öfters und wollten das Kind mitnehmen; da es ihnen aber aus guter Absicht immer abgeschlagen wurde, forderten sie es mit Ungestüm, worauf es ihnen auf Anraten vernünftiger Leute überlassen wurde und so dem fast zwei Jahre dauernden Ungemache ein Ende verschafft wurde.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 21, S. 28 - 31.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.