73. Das St. Walburgakirchlein und der Walburgapudel bei Ruderatshofen.

Wenn man von Ruderatshofen gegen Oberdorf geht, kommt man etwa halbwegs nach Immenhofen an einem Kirchlein vorbei; das ist das St. Walburgakirchlein, an dessen Stelle vor alten Zeiten ein Schloß gestanden habe, an das noch der nahe "Schloßanger" erinnert, und von dem ein unterirdischer Gang bis nach Hörmatshofen geführt haben soll. In dem Kirchlein konnte man ehedem zur Mitternachtsstunde wundervolle Musik vernehmen, die viele schon gehört haben wollten, und die einige als "die englische Musik" erklärten, vor der man sich habe niederlegen müssen. Aber auch untertags hat man schon in dem Kirchlein Merkwürdiges wahrgenommen. So kam einmal das Hartweible mittags um 12 Uhr an einem heißen Sommertag hier vorbei und wollte sich in dem Kirchlein etwas abkühlen. Wie sie nun die Türe aufmacht, erblickt sie am Altar einen Geistlichen mit samt Ministranten, der Messe las, und sah viele Leute, die gerade zu Opfer gingen; aber allesamt hatten sie keinen Kopf. Voll Grauen darob machte sie schnell wieder die Türe zu und lief davon.

Auch sonst war es bei dem Kirchlein nie ganz geheuer. "Als einmal mein Vater selig hier vorbeiging, erschien plötzlich ein steinaltes Weiblein mit einem Schubkarren und fuhr so dicht hinter ihm drein, daß das Rad immer an seinen Waden anstieß, bis sie plötzlich gegen das Kirchlein abbog und verschwand." Am meisten ging aber früher die Rede von dem Walburgapudel, mit dem man noch vor einigen Jahrzehnten die Kinder schreckte, besonders um den Klausetag herum, wo es hieß, es kommt der Walburgapudel. Dieser Pudel geistete um das Kirchlein, konnte aber nie ganz herumkommen. Er war groß und kohlschwarz und wurde oft gesehen. Einmal kam er einer Frau, die von einer Taufe von Oberdorf heimkehrte, so nahe, daß sie sogar die Hände "überse tat" aus Furcht, er möchte sie beißen. Sie war so voll Schrecken, daß sie nichts sagen konnte, indes der Mann, der bei ihr war, von allem nichts merkte. Der Pudel lief dann gegen die Kirche zu und verschwand.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 73, S. 76 - 77.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, Februar 2005.