192. Versunkenes Schloß im Blutsberg.

Zwischen Altmannshofen und Eschach bei Aichstetten erhebt sich der Blutsberg, dessen Rücken noch einige Einschnitte zeigt und auf dem ehedem ein Schloß gestanden hat. Die Bewohner desselben lebten in Üppigkeit und mißachteten die Gabe Gottes so sehr, daß sie die Kinder oft "mit Kücheln putzten" und reinigten. Eine Magd, die das oft tun mußte, entsetzte sich jedesmal vor dem sündhaften Frevel und warnte die Schloßfrau immer wieder vor dem schändlichen Mißbrauch; sie wolle gerne ihre schönste seidene Schürze dazu hergeben, wenn sie nur nicht mehr die sündhafte Handlung vollbringen dürfe. Die Schloßbesitzer aber blieben verstockt. Da geschah es, daß einmal ein fremder armer Mann in das Schloß kam und um Almosen bat, und daß die Schloßfrau dem zum Hohn ein also mißbrauchtes Küchle als Gabe darreichen ließ. Da hieß der Bettelmann die Magd das Schloß sogleich verlassen, denn die Strafe Gottes werde es erreichen; und als sie draußen war, kehrte er sich beim Fortgehen noch einmal um und tat einen Fluch. Da spaltete sich der Boden, und das Schloß versank mit Mann und Maus in die Tiefe, indes die Erde wieder oben zusammenschlug. Noch nach drei Tagen habe man den Hahn aus der Tiefe krähen hören. Die Schätze aber, die mitversunken sind, hat man früher schon öfters zu heben gesucht und an Allerheiligen oder Weihnachten darnach gegraben, aber immer erfolglos.

Die beste Gelegenheit hiezu hätte aber einmal vor Zeiten der Bergbauer auf dem nahe gelegenen Hofe gehabt. Als er nämlich an Weihnachten in seinem Stüble auf der Ofenbank saß, bemerkte er plötzlich vor dem Fenster ein schneeweiß gekleidetes Fräulein. Er fragte, was es wolle. Es sagte, er solle ihm folgen; es gehe zwar in den Berg hinein, aber es werde ihm nichts geschehen, und Geld und Schätze könne er dann aus einer Kiste nehmen, soviel er wolle, wenn er nur den schwarzen Pudel, der darauf sitze, nicht fürchte. Da ward aber dem Manne gar unheimlich zumute, und er weigerte sich mitzugehen. Jetzt fing das weiße Fräulein an, zu jammern und bitterlich zu weinen, daß sie wieder nicht erlöst worden, stieg traurig den Blutsberg hinan und verschwand dort.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 192, S. 197 - 198.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.