207. Ulrich von Musau.

Als dieser fromme Bruder auf dem Todbette lag, kam ihn einmal die Lust an Erdbeeren zu essen, was ihm die Anwesenden als einen unziemlichen Wunsch verwiesen, weil Winter war und Schnee und Eis die ganze Landschaft bedeckte. Der Bruder rügte aber diese Kleingläubigkeit und befahl ihnen, sie sollten auf den nächstgelegenen Berg gehen, und sie würden Erdbeeren genug finden. Sie glaubten seinen Worten, gingen zur bestimmten Stelle und fanden mitten im Schnee viele und schöne Erdbeeren. Der Hügel, wo dieses Wunder geschehen ist, heißt heutzutage noch der Erdbeerbühl. Weil aber die Krankheit von Tag zu Tag zunahm und er verspürte, daß der Tod herannahe, bat er die Frau, bei welcher er wohnte, sie möchte seinen Leichnam auf einen Wagen legen, zwei junge, noch nie eingespannte Stiere daran spannen und ihn dort, wo diese ihn hinzögen, begraben. Nach seinem Tode legte man den Leichnam auf einen Wagen und spannte zuerst zwei zahme Ochsen, die schon öfter gezogen hatten, davor. Diese konnten aber den Leichenwagen nicht von der Stelle bringen, und man spannte nun zwei junge, noch unabgerichtete Stiere an. Diese zogen zur Verwunderung aller Anwesenden den Wagen durch den Lech und gingen aus freien Stücken fort, bis sie zu einem Gesträuche auf dem Hügel kamen, wo heutzutage die Kapelle steht. Hier standen sie wie angewurzelt und waren nicht von der Stelle zu bringen. Man nahm nun die Leiche von dem Wagen und begann, ein Grab zu öffnen. Da geriet man auf einen großen Stein, unter dem sich eine Grube in Mannslänge befand. In dieses Grab wurde der Leichnam des seligen Bruders gelegt. Noch heutzutage ist der Stein samt dem Grabe in der Kapelle zu sehen.

Quelle: Allgäuer Sagen, Aus K. A. Reisers "Sagen, Gebräuche und Sprichwörter des Allgäus" ausgewählt von Hulda Eggart, Kempten und München 1914, Nr. 207, S. 212.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Franziska Meister, März 2005.